Brilon-Totallokal: Kein Stuhl mehr frei in der „Lok“ – literarisch musikalischer Abend wieder ein großer Erfolg
brilon-totallokal: Brilon – Drei Menschen schlugen 100 andere in ihren Bann am 25. Juni in der Musikkneipe Lok. Das war nicht nur ein Vorlesen der Briefe, die Hans Fallada und Anna Issel, von ihm Suse genannt, sich gegenseitig schrieben. Ein Lächeln, Sorgenfalten, Verständnis lagen je nach Inhalt in der Mine von Christiane Kretzschmar, zustimmendes Nicken und ganz versunken scheinbar in die Briefe des Geliebten, die Bernd Schläger so stimmlich variierend den geschilderten Ereignissen entsprechend vortrug, als sei er gerade beim Schreiben. Nach ihrer Eheschließung 1929 lebten die Eheleute zunächst beruflich bedingt getrennt. Täglich schrieben sie sich, manchmal auch zweimal. Geschickt waren die Auszüge aus diesen Briefen gewählt, entführten sie die Zuhörer doch nicht nur in eine ganz große Liebesgeschichte mit Höhen und Tiefen, sondern zeigten in feinen Nuancen auch die unterschiedlichen Sichtweisen von Mann und Frau. Er eher auf sich- , sie auf ihn bezogen. Er, der von Geburt an ein „Pechvogel“ gewesen war, mit Misserfolgen, Gefängnis, Alkohol auf du und du, war mit 35 Jahren „wieder heil“. „Wenn Du in meinem Rücken, dann geht es wieder vorwärts“. Sie war für ihn das große Glück. Er für sie natürlich auch, aber ihre Briefe drehten sich mehr um ihn, dass es ihrem „Jungchen“ gut gehen möge. Atmosphärisch genau passend zauberte Dirk Mündelein auf seiner Gitarre Improvisationen, die es sehr schwer machten, den Beifall, wie es gewünscht worden war, bis zum Schluss aufzuheben. Auch das Unheil, das an die Tür klopfte, wurde durch seine Musik hör- und fühlbar. „Mach Dein Herz nicht schwer“, alle sind blass gegen Dich“, „ich möchte alle glücklich machen“, „ich habe mehr an Dich gedacht“, er vertrage aber keine Einsamkeit, schrieb Fallada zusammen mit dem Geständnis, mit Frl. Prange geschlafen zu haben, an seine Suse, die wegen Krankheit in Kur war . Da antwortet sie noch: „Du bist frei“. Sie könne keine Geheimnisse ertragen, dankt fast noch für seine Offenheit, wolle nur ihn glücklich wissen, müsse aber Abstand gewinnen. Dann kam Anneliese. Das sei nach reichlich Alkohol nur eine Spielerei gewesen, die sie ausgenutzt habe. Nie sei da ein Funken erotischer Gefühle gewesen, schreibt er. Da bricht es aus Suse heraus. Sie redet von sich: „Lieber Junge, ich möchte versuchen Dir zu erklären, wie mir ums Herz ist. Tief verletzt sei sie, weil er Anneliese etwas erzählt habe, „was nur für uns war“, und sie habe es weitererzählt.“
Im Juli 44 wird die Ehe geschieden. Ein Jahr später heiratet Fallada die 30 Jahre jüngere Ulla Losch. Am 5. Februar 1947 stirbt er in Berlin.
Nicht nur die szenische Lesung mit den Dialogen und die einfühlsamen musikalisch unterstützenden Interpretationen waren außerordentlich bemerkens- und erlebenswert. Aus vielen Büchern hatte Christiane Kretzschmar die historischen Hintergründe der dramatischen Zeit zweier Kriege und eines totalitären Regimes herausgesucht und komprimiert verwoben mit der Geschichte von Hans und Suse, sodass die persönliche Geschichte geschickt eingebunden wurde in einen historischen Kontext.
Text und Foto: Barbara Aulich