Stichwort der Woche von Norbert Schnellen

Brilon-Totallokal: Studie oder Kaffeesatzleserei

brilon-totallokal:  Brilon – Mit Statistiken kann man alles beweisen, notfalls sogar, dass das Wasser bergauf fließt. Noch schlimmer als Statistiken sind jedoch Prognosen, die moderne, mediengerechte Form der Wahrsagerei. Zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit nennt man solche Prognosen gerne auch „Studien“ und setzt eine allgemein anerkannte Institution oder Stiftung davor. Fertig ist die „Bertelsmann-Studie“ zur demographischen Entwicklung! In schöner Regelmäßigkeit prognostizieren solche „Studien“ einen dramatischen Bevölkerungsrückgang in den ländlichen Regionen, verbunden mit einer zunehmenden „Überalterung“ der ländlichen Gesellschaft. Parallel dazu werden einigen Großstädten und deren Umfeld starke Anstiege der Bevölkerungszahlen, verbunden mit einer „Verjüngung“ der urbanen Bevölkerung, prophezeit. Um diese Umschichtungen bis zum Jahr 2030 wahr werden zu lassen, muss also eine starke Abwanderung junger Menschen aus den ländlichen Regionen in die Ballungsräume erfolgen. Allein durch die sinkenden Geburtenzahlen, die ja auch in den „angesagten“ Großstädten nicht höher sind, wäre diese Entwicklung bei weitem nicht so dramatisch.

Was soll also durch diese ständigen Demographie-Prognosen erreicht werden? Die beauftragten Institute verfassen ihre Studien ja nicht umsonst, sondern verlangen dafür von ihren Auftraggebern richtig viel Geld. Einerseits dient die mediale Verbreitung dieser Studien als Propagandainstrument. Jungen Menschen soll eindeutig klar gemacht werden, dass im ländlichen Raum keine Zukunft mehr für sie besteht. Auf der anderen Seite dienen diese Prognosen auch jetzt schon als Steilvorlage für eine Politik, die den ländlichen Raum zu Gunsten der Ballungsgebiete totsparen möchte, wie man es schon jetzt dem Landesentwicklungsplan von Nordrhein-Westfalen entnehmen kann. Mit rückläufigen Investitionen in die ländliche Infrastruktur wird diese Entwicklung also unterstützt.

Wenn man die gesamte Bevölkerungsentwicklung in Deutschland mal im historischen Zusammenhang betrachtet, sind die viel zitierten Auswirkungen der Demographie eigentlich gar nicht beunruhigend: Im Jahr 1900 lebten in Deutschland gerade mal 56 Millionen Menschen, 1950 waren es 69 Millionen und 1989 ganze 79 Millionen Einwohner. Wenn die Bertelsmann-Studie also für 2030 einen Rückgang der Bevölkerung auf 79 Millionen Menschen prognostiziert, wären wir wieder beim Stand von 1989, nur insgesamt ein bisschen älter (…und weiser?). Der einzige Haken an der Sache ist, dass unsere, nur auf Wachstum ausgerichtete Gesellschaft, sich langsam mal umstellen muss und wir uns auf Dauer auf etwas weniger Luxus und Wohlstand einstellen müssen. Wenn wir Kinder nur als Produktionsfaktor zur Sicherung unserer Altersversorgung ansehen, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass sich keiner mehr welche anschafft. Die Gesellschaft muss also insgesamt menschlicher und sozialer werden, der Nährboden hierfür ist im ländlichen Raum viel stärker vorhanden als in der Großstadt. Vermutlich kann ich in 15 Jahren an dieser Stelle schreiben, dass diese Bertelsmann-Studie auch nur Kaffeesatzleserei war.

Text: Norbert Schnellen

 

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