Stichwort der Woche von Norbert Schnellen
brilon-totallokal: Im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise hört man öfters mal wieder ein Wort, welches im deutschen Sprachgebrauch in den vergangenen Jahren kaum noch vorkam: „Familie“. In einem Land voller Singles, mit einer verschwindend kleinen Geburtenrate und einer Gesellschaft, die Wirtschaftswachstum, Konsum und Besitzstände in den Vordergrund stellt, kommt uns die Vorstellung von Menschen, die auf längere Sicht zusammenleben wollen, schon etwas exotisch vor.
Seit Beginn der menschlichen Existenz war die Familie die wichtigste gesellschaftliche Einheit.
Die heutigen „wichtigen“ Gruppen, wie Firma, Volk oder Nation wurden erst viel später erfunden. Auch heute genießt beim größten Teil der Menschheit die Familie noch die erste Priorität. Nur in den „hochzivilisierten“ Industrienationen hat die Familie zunehmend an Bedeutung verloren. Diese Entwicklung setzte hier nach dem zweiten Weltkrieg ein. Durch die damals stattfindende Landflucht bestand die ideale städtische Familie nur noch aus Vater, Mutter und zwei Kindern. Die Großeltern waren auf dem Land geblieben und die Geschwister, also Onkel und Tanten, über das ganze Land verstreut.
Während in der kleinbäuerlichen Gesellschaft Familie zumeist sowohl Lebens- als auch Arbeitsgemeinschaft bedeutete, reduzierte sich das Zusammenleben in der industriellen Gesellschaft nur noch auf die gemeinsame Freizeit. Das deutsche Wirtschaftswunder verwandelte die Familie von einer Arbeitsgemeinschaft in eine Konsumgemeinschaft. Familien brauchten Autos, Haushaltsgeräte, Fernseher, Urlaubsreisen, Spielzeug, Computer und – und – und…. Sie waren also der Wachstumsfaktor schlechthin. Hierbei blieben viele andere Werte auf der Strecke. Bald mussten beide Elternteile arbeiten um beim Wohlstandswettbewerb mitzuhalten.
Die Kinder mussten, um auf der Karriereleiter noch höher zu steigen als ihre Eltern, immer länger in die Schule. Das machte aber nichts, weil zuhause war ja sowieso niemand. Diese Karrierekinder ihrerseits hatten dann keine Zeit eine eigene Familie zu gründen und bevorzugten „Lebensabschnittspartnerschaften“. So kam es, dass in den Industrienationen die Familien langsam von der Bildfläche verschwanden.
Eigentlich fällt das in unserer hektischen Gesellschaft kaum jemanden auf.
Nur jetzt, in der Vorweihnachtszeit, werden manche sentimental und sehnen sich in die „gute alte Zeit“ zurück. Spätestens beim Neujahrskater sind diese sentimentalen Anwandlungen aber vorbei und man stürzt sich wieder voll in die Arbeit und in den Konsum. Die biologische Folge hiervon wird irgendwann einmal das Aussterben der Industriegesellschaften sein. Wäre das schlimm und würde der Welt dadurch etwas fehlen? Ich glaube nicht, denn im Gegensatz zu anderen untergegangenen dekadenten Kulturen, haben wir diesen Planeten mit Raubbau und Müll lange genug geschädigt. Schon im 19.Jahrhunderten schrieb Adolf Kolping: „Das Schicksal der Familie ist über kurz oder lang das Schicksal des Landes.“
Ein Land ohne Familie ist daher ein Land ohne Zukunft.