Wie sieht unser Leben nach dem Wirtschaftswachstum aus?

Brilon-Totallokal: Prof. Niko Paech referiert beim Wirtschaftsforum über „Postwachstumsökonomie“

brilon-totallokal:  Immer mehr, immer größer, immer weiter, aber was kommt dann? Diese Frage stellen sich immer mehr Menschen, so auch die vielen Teilnehmer am 53. Briloner Wirtschaftsforum, die die Kundenhalle der Volksbank bis auf den letzten Platz füllten. So zeigte sich Vorstandsmitglied Josef Brücher in seiner Begrüßung hocherfreut über das rege Interesse an dem Thema des Abends und freute sich auf einen interessanten Vortrag und eine spannende Diskussion.

Brilons Bürgermeister Dr. Christof Bartsch bedankte sich in seinem Grußwort bei der Volksbank für die Gastfreundschaft und äußerte, dass er sich schon seit längerem mit den Forschungen von Professor Paech auseinander gesetzt habe. Schon 1972 habe der Club of Rome die Frage aufgeworfen, ob es ein unbegrenztes Wachstum geben könne. Die Aussagen von Prof. Paech zu diesem Thema seien natürlich sehr radikal und er frage sich, ob man bei einem Verzicht auf Wachstum nicht ein „goldenes Kalb zur Schlachtbank führen würde“.

Prof. Paech bedankte sich zunächst für die Einladung nach Brilon und stellte sich kurz vor. Er ist Volkswirt an der Universität in Oldenburg und neuergings auch Lehrbeauftragter an der Universität Siegen für „Alternatives Wirtschaften und Nachhaltigkeit. Zu Beginn seines Vortrags stellte er dar, warum es in Zukunft kein „weiter so“ mehr geben könne. Dem Wachstum sind zwei Grenzen gesetzt, zum einen die ökologische Grenze, d.h. die Klimaveränderung durch steigenden Ausstoß von CO2, zum anderen die ökonomische Grenze durch die Endlichkeit von Rohstoffen. Der CO2 Ausstoß in Deutschland liegt derzeit bei 11t pro Einwohner. Wenn nun aber unser Konsummodell in den Schwellenländern Schule macht, müssen wir, um die Klimaschutzziele zu erreichen, unseren CO2 Ausstoß bis 2050 auf 2,7t pro Einwohner reduzieren.

Das ist jedoch durch die vielbeschworene Energiewende und durch einen „Green New Deal“ nicht zu erreichen, weil die Veränderungen in der Landschaft, wenn man die derzeit durch Kohle und Öl erzeugte Energie auf regenerative Erzeugung umstellen würde, nicht realisierbar wären. Des Weiteren werden, bei zunehmender Nachfrage, die Rohstoffreserven bei Öl und auch bei „seltenen Erden“ bald erschöpft sein.

Die Lösung dieser Konflikte ist, seiner Meinung nach, nur in einer „Postwachstumsökonomie“ zu finden. Pures Auswechseln bisheriger Konsumlösungen gegen vermeintlich nachhaltigere Varianten reicht nicht aus. Nur eine Rückführung von Konsumansprüchen auf ein Niveau, das wirklich nachhaltig befriedigt werden kann, bietet Lösungen. Das neue Ziel ist Suffizienz (von lat. sufficere – genügen, ausreichen). Erstrebt wird demnach nicht mehr eine Steigerung von Güterwohlstand und Komfort, sondern die Reaktivierung von Kompetenzen, individuelle Bedürfnisse ohne kommerzielle Märkte zu befriedigen. Zur praktischen Umsetzung dieser Einsicht gibt es viele Ansätze:

Verkürzung der (Lohn-)Arbeitszeit zur Steigerung der Eigenversorgung, Community-Gärten, Tauschringe, Netzwerke der Nachbarschaftshilfe, Verschenkmärkte, Einrichtungen zur Gemeinschaftsnutzung von Geräten/Werkzeugen – all dieses würde zu einer graduellen De-Globalisierung verhelfen und am Ende auch weniger Energie und Ressourcen verbrauchen. Salopp gesagt: Produkte müssen länger genutzt, repariert und gepflegt werden und lieber gebraucht als neu gekauft werden. Viele Bedürfnisse ließen sich auch durch regionale Märkte und verkürzte Wertschöpfungsketten befriedigen. Regionalwährungen könnten Kaufkraft an die Region binden und damit von globalisierten Transaktionen abkoppeln. So würden die Effizienzvorteile einer geldbasierten Arbeitsteilung weiterhin genutzt, aber innerhalb eines ökologischeren und krisenresistenteren Rahmens.

Das hierfür benötigte Industriesystem aber wäre nicht nur kleiner als das heutige, sondern müsste auch deutlich entschleunigt werden: Produkte und Infrastrukturen könnten durch Nutzungsdauerverlängerung oder Nutzungsintensivierung so optimiert werden, dass ohne zusätzliche materielle Produktion Werte geschaffen werden. Aus dem „Konsumenten“ würde somit ein „Prosument“, also jemand, der selbst zur Befriedigung seiner Bedürfnisse beitragen kann. Die Verlagerung der Wirtschaft von global zu regional und lokal würde den Menschen ein gesünderes und freieres Leben ermöglichen.

Zum Ende des Vortrags bedankte sich Brilons Wirtschaftsförderer Oliver Dülme bei Prof. Paech mit einem kleinen Präsent für den interessanten Vortrag und stellte die, etwas provokante Frage, wann und wie der Systemwechsel von der derzeitigen Wachstumsökonomie zur „Postwachstumsökonomie“ vonstattengehen könnte. Prof. Niko Paech antwortete, dass ein solcher Systemwechsel nicht von „oben“ verordnet werden kann, sondern durch viele kleine Aktionen von der Basis aus erfolgen muss. Nach einer angeregten Diskussion blieb für die Teilnehmer des 53. Briloner Wirtschaftsforums ein Abend, der sicherlich zum Nachdenken über die Zukunft unseres Wirtschaftssystems angeregt hatte und bestimmt auch schon den einen oder anderen konkreten Gedanken über die Zukunft Brilons in der „Postwachstumsökonomie“ beflügelt hat.  

Bild: (V. li.) Karl-Udo Lütteken, Bürgermeister Dr. Christof Bartsch, Professor Niko Paech, Thorsten Wolf, Rüdiger Strenger, Josef Brücher und Wirtschaftsförderer Oliver Dülme.

Quelle: Norbert Schnellen, Briloner Anzeiger

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