Brilon-Totallokal: Stichwort der Woche von Norbert Schnellen
brilon-totallokal: In der vergangenen Woche fand in Essen, der „Grünen Hauptstadt Europas“, eine Konferenz über „Nachhaltige Architektur im (Klima-) Wandel“ statt. Eigentlich ist es höchste Zeit sich einmal mit diesem Thema zu beschäftigen. Was ist eigentlich nachhaltige Architektur? Das nachhaltigste ist zunächst mal eine möglichst lange Nutzungsdauer. Wenn ein Handy alle zwei Jahre auf dem Müll landet, ist das vielleicht zeitgemäß, aber auf keinen Fall nachhaltig. Wenn jede Menge neue, energieeffiziente Gebäude erstellt werden, aber Bestandsimmobilien leer stehen und verfallen, kann das auch nicht unbedingt nachhaltig sein. Oft ist es sinnvoll einmal ein paar Jahrhunderte zurückzuschauen:
In Ermangelung einer mächtigen Chemielobby mussten unsere Vorfahren mit den Materialien bauen, die sie in der Natur vorfanden: Bruchsteine, Holz, Stroh und Lehm sind Materialien, die zu 100 Prozent biologisch abbaubar sind. Aus diesen Materialien schufen die Menschen damals Häuser, die eine Nutzungsdauer von mehreren Jahrhunderten hatten, wenn sie nicht irgendwelchen Brandkatastrophen oder Kriegen zum Opfer fielen.
Mit der Produktion „künstlicher Baustoffe“, also Stahl, Beton, Asbestfasern, Kunststoff und ähnlichem, wurde das Bauen zunächst einmal billiger. Es entstanden jede Menge Neubaugebiete, denn Platz stand ja unbegrenzt zur Verfügung. In den „alten Hütten“ wollte jetzt keiner mehr wohnen, außer ein paar Spinnern und einiger sozial benachteiligter Menschen, denen nichts anderes übrig blieb. Über die Nutzungsdauer der „modernen“ Gebäude und über die Entsorgung der künstlichen Baustoffe machte sich keiner Gedanken. – Jetzt merke ich gerade, dass ich die ganze Zeit in Vergangenheitsform schreibe, das ist natürlich völlig daneben – ich beschreibe ja den Jetztzustand, der heute leider noch bittere Realität ist.
Jetzt also ein Kongress in Essen. Sollte da bei den Architekten und verantwortlichen Planern langsam ein Umdenken zu erkennen sein? Ich fürchte, dass die anderen Bereiche der Nachhaltigkeit, sprich energetische und städteplanerische Gesichtspunkte, eher im Fokus der tagenden Architekten standen. So steht zu befürchten, dass Altbausanierung auch weiterhin bedeutet, dass man alte Fassaden hinter Bauplatten aus Chemiemüll versteckt (der Hochhausbrand in London ist auch schon wieder vergessen) um den EnEV-Kriterien gerecht zu werden. Dabei haben Häuser und Menschen eines gemeinsam: Wenn die Luft zum Atmen wegbleibt ist die Lebensdauer ziemlich begrenzt. So werden wir auch in den kommenden Jahrzehnten damit leben müssen, dass alte Häuser uncool sind und Abrissunternehmer ein recht zukunftsträchtiger Job ist. „Nachhaltige Architektur“? Ein solches Umdenken kann ich mir momentan leider einfach nicht vorstellen.
Ihr Norbert Schnellen