Brilon-Totallokal: Stichwort der Woche. von Norbert Schnellen…
brilon-totallokal: Nach der Bundestagswahl konnte man bei den sonst allwissenden Medien und bei den politisch Mächtigen einen kurzen Moment der Ratlosigkeit verspüren. Was die Wähler ihnen da serviert hatten taugte zu keiner der bisher bewährten politischen Mehrheiten für die ewige Kanzlerin, zumal sich die SPD direkt am Wahlabend „aus der Verantwortung gestohlen“ hatte. Doch bald schon war die Lösung nahe, ein „Jamaika-Bündnis“ sollte unser Land regieren und so der Kanzlerin ihre Macht und uns Deutschen die Führungsrolle in Europa erhalten. So zogen sich denn scharenweise Abgeordnete der Grünen, Gelben und Schwarzen zu „Sondierungsgesprächen“ zurück.
Publikumswirksam zeigten sich die Hauptprotagonisten ab und an auf einem Balkon der wartenden Journalistenmeute.
Jeder Satz der aufgeschnappt wurde fand sofort seinen Einzug in die Leitartikel oder als Premiummeldung in die Abendnachrichten. Natürlich waren auch die (a)-sozialen Medien im Internet voll vom „Gezwitscher“ der handelnden Personen. Das kleinste Detail, die schmutzigen Hemden von Wolfgang Kubicki und der Schlafmangel von Horst Seehofer mischten sich mit Meldungen, wie weit sich die diskutierenden Parteien aufeinander zubewegten und wie toll das Vertrauensverhältnis zwischen Claudia Roth und Peter Altmaier inzwischen sei. Die ganze Berichterstattung erinnerte schon stark an gewisse Doku-Soap Formate einschlägiger Privatsender.
Nach vier Wochen wagte es eine Partei sich aus den Gesprächen zurückzuziehen. Der allgemeine Aufschrei in der Presse glich dem eines Kleinkindes, dem man sein Räppelchen wegnimmt. Dabei ging einigen Journalisten völlig die gebotene Sachlichkeit verloren. Was war passiert? Vier Parteien, die in ihren Wahlprogrammen teilweise weit voneinander entfernt waren, hatten sondiert, ob es sich überhaupt lohnt in Koalitionsverhandlungen zu gehen. Ein Verhandlungspartner kam zu der Überzeugung, dass das keinen Sinn hat, was sein gutes Recht war.
Aber wie geht es jetzt weiter?
Die Sozialdemokraten haben noch immer keine Lust sich weiter als Mehrheitsbeschaffer der Kanzlerin in einer GroKo zu verschleißen. Auch das ist ihr gutes Recht. Also Neuwahlen? Meines Erachtens gibt es keine unverschämtere und arrogantere Missachtung des Wählerwillens als eine solche Forderung. Man kann doch das Volk nicht so lange wählen lassen, bis es einem letztendlich passt, ganz abgesehen von den Kosten. Bleibt nur eine Minderheitsregierung, die aber im stabilitätssüchtigen Deutschland völlig unattraktiv ist. Schon das Wort klingt „minderwertig“. Dabei ist es die Mehrheitsfraktion, die die Regierung stellt.
Diese Regierung wäre auch durchaus handlungsfähig, nur dass Kompromisse nicht mehr „im Hinterzimmer“ zwischen den Fraktionsvorsitzenden ausgekungelt werden, sondern offen und transparent im Parlament diskutiert würden. Der Demokratie würde das sicherlich eher nützen als schaden. Wer sich dieser Verantwortung nicht stellen möchte, hat entweder etwas zu verbergen oder in den Jamaika-Verhandlungen wirklich das falsche Zeug geraucht.
Ihr Norbert Schnellen