Brilon-Totallokal: Vor 100 Jahren starb Heinrich Sommer, Gründer der Josefs-Gesellschaft
brilon-totallokal: Ob er zu seinen Lebzeiten ahnen konnte, was aus seiner Idee wird? Als einen „Mann mit Visionen, mit Leidenschaft und einen Mann der Tat, trotz angeschlagener Gesundheit“ beschreiben historische Quellen den katholischen Priester Heinrich Sommer. 1904 gründete er mit einigen Mitstreitern in Bigge die Josefs-Gesellschaft und als erste Einrichtung das Josefsheim. Heute, 114 Jahre später, bietet die Josefs-Gesellschaft in sechs Bundesländern mit 25 Tochtergesellschaften an 80 Standorten Leistungen für Menschen mit Hilfebedarf und medizinische Versorgung in Krankenhäusern. Vor 100 Jahren, am 18. April 1918, starb Heinrich Sommer.
Dass die Josefs-Gesellschaft in Bigge gegründet wurde, war wohl die Folge einer zufälligen Begegnung. Heinrich Sommer war 1903 zur Kur in Olsberg. Hier lernte er den Freiherrn Conrad von Wendt kennen. Mit ihm tauschte er sich über die Idee aus, etwas für Menschen mit Behinderung zu tun. „Krüppel“ war damals kein Schimpfwort, sondern der übliche Sprachgebrauch. In der Karwoche des Jahres 1904 erschien der Aufruf zur Gründung der Josefs-Gesellschaft in 70 Zeitungen im Rheinland und in Westfalen. Sommer und von Wendt ging es nicht nur um Versorgung und Pflege. Die Berufsausbildung stand von Anfang an im Mittelpunkt. Heinrich Sommer schrieb. „Viele Krüppel, welche man als nutzlose, überflüssige Geschöpfe betrachtet, haben sich zu wahren Fachmännern herangebildet und ihre gesunden Kollegen an Tüchtigkeit und Lohn übertroffen.“
Nicht die für die damalige Zeit bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung typischen Besen- und Bürstenmacherwerkstätten richtete die Josefs-Gesellschaft ein. Heinrich Sommer stammte aus einer Familie, die in Ahlen im Münsterland eine Zeitungsdruckerei betrieb. So eröffnete er im Josefsheim zuerst eine Druckerei, eine Buchbinderei und einen kleinen Buchhandel. Die ersten Auszubildenden waren zwei Buchdrucker, ein Lithograf, ein Buchbinder und drei Kaufleute.
Die Druckerei gibt es heute noch. Nach wie vor wird hier ausgebildet, wie in mehr als 30 weiteren Berufen im Berufsbildungswerk – vom Kaufmann bis zum Koch, vom Tischler bis zum Technischen Produktdesigner. Rund 220 junge Menschen mit Behinderung qualifizieren sich im Josefsheim für den Arbeitsmarkt. Außerdem gibt es eine Werkstatt für behinderte Menschen mit rund 400 Arbeitsplätzen, stationäre und ambulante Wohnangebote und eine Integrationsfirma. Die Josefs-Brauerei ist die erste behindertengerechte Brauerei in Europa. Seit dem Jahr 2000 sind hier zehn Menschen mit Behinderung sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das Konterfei Heinrich Sommers ziert heute die Etiketten der Josefs-Biere. Die Vorlage dafür war ein Ölgemälde aus der Gründerzeit der Josefs-Gesellschaft.
In den 114 Jahren seit seiner Gründung hat sich das Josefsheim laufend weiterentwickelt. Und sieht sich aktuell neuen gesetzlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen gegenüber. „Wir verstehen uns als Dienstleister, der Menschen auf ihrem Weg zur gesellschaftlichen Teilhabe begleitet“, sagt Geschäftsführer Winfried Cruse. „Früher mussten die Menschen zu uns kommen. In Zukunft werden wir unsere Angebote verstärkt dezentral entwickeln und zu den Menschen bringen.“ Schon seit einigen Jahren arbeitet das Josefsheim bei den Themen Arbeit und Ausbildung mit Unternehmen in der Region zusammen. Sie übernehmen den praktischen Teil der Ausbildung oder beschäftigen Menschen mit Behinderung, die vom Josefsheim begleitet werden.
„Bei uns hat jeder Mensch mit Behinderung seinen individuellen Teilhabeplan. Darin verein-baren wir die Ziele und die Leistungen, die wir erbringen. Ebenso überprüfen wir bei jedem Einzelnen, ob die Ziele erreicht wurden“, erläutert Cruse. Der Prozess wird von den Case Managern gesteuert. Sie sind die ersten Ansprechpartner für die Menschen mit Behinderung und koordinieren alle Leistungen.
Wie groß „seine“ Josefs-Gesellschaft wird, konnte Heinrich Sommer sicherlich nicht vorhersehen. Die ersten Neugründungen an weiteren Standorten hat er miterlebt: 1905 in Aachen und 1912 in Hochheim. 1908 eröffnete in Bigge die Elisabeth-Klinik zur medizinischen Versorgung der „Krüppel“ des Josefsheims. Heinrich Sommer starb am 18. April 1918 im Alter von nur 46 Jahren in Karlsruhe, nachdem jahrelang gesundheitlich schwer angeschlagen war. Eine Woche nach seinem Tod wurde er in der Kapelle des Josefsheims in Bigge beigesetzt.
Quelle: Mario Polzer, Josefsheim Bigge