Handwerk macht mobil – Betriebe schließen sich zusammen und geben ihrem Protest eine Stimme

Brilon-Totallokal: In einer bislang so noch nie dagewesenen Podiumsdiskussion mit führenden heimischen Politikern brachten etwa 200 Handwerker ihre Forderungen zur Entbürokratisierung zum Ausdruck.

brilon-totallokal: Was vor wenigen Monaten -letztlich ausgelöst durch die in Mai in Kraft getretene Datenschutzgrundverordnung- als Debatte zwischen fünf regional ansässigen Handwerksmeistern begann, zieht immer größere Kreise. Wie die Medien bereits berichteten, schließen sich unter dem Schlagwort „Handwerk macht mobil“ mehr und mehr Betriebe zusammen und geben ihrem Protest eine Stimme. So auch am 17.07.2018 im vollbesetzten großen Sitzungssaal im Kreishaus Meschede, organisiert von der Handwerkskammer Südwestfalen und der Kreishandwerkerschaft Hochsauerland.

In der Runde stellten sich Mitglied des Europäischen Parlaments Dr. Peter Liese (CDU), Mitglieder des Bundestages Dirk Wiese (SPD) und Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU), Mitglieder des Landtages Klaus Kaiser (CDU) und Matthias Kerkhoff (CDU) , sowie Holger Schwannecke (Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks) der Diskussion. Die Fallbeispiele aus der Praxis, die sie an dem Abend aus erster Hand zu hören bekamen, versetzten die Abgeordneten nicht selten in ungläubiges Erstaunen:

Bäckermeister Frankenstein aus Medelon schilderte anschaulich am Beispiel einer Sahnetorte, welchen Dokumentationsaufwand es bedeutet, bis diese letztlich beim Kunden angekommen ist. Die Temperaturmessung der Rohstoffe beim Anliefern, beim Verarbeiten, nach der Fertigstellung, vor der Auslieferung, nach der Auslieferung – ist eine Maschine kaputt gegangen, wieder repariert worden u.s.w. – jeder noch so kleine Schritt muss schriftlich festgehalten sein. Ein Berg an Protokollen für Abläufe, dessen logische Konsequenzen einem der gesunde Menschenverstand schon diktiert. Sollte sich dann noch eine Maus in die Backstube verirren, muss, um diese beseitigen zu können, erst ein entsprechender Sachkundenachweis erbracht werden.

Eine Situation aus der Verwaltungsvorschrift der Oberfinanzdirektion beschrieb Andreas Cloer, Obermeister der Innung für Sanitär- und Heizungstechnik Arnsberg die verdeutlicht, was die Anforderungen gesetzlicher Verordnungen und Verwaltungsvorschriften für die Betriebe bei der Umsetzung auslösen: so waren die Unternehmen verpflichtet, für die Betriebsprüfung in der EDV bestimmte Schnittstellen einzurichten. Kostenintensiv durch Softwareaustausch und Vorhalten eines zusätzlichen Arbeitsplatzes wurde diese Möglichkeit geschaffen. Aufgrund der „Computer-Virenlage“ hatte jedoch der Betriebsprüfer wiederum die Vorschrift, keine der so angeforderten Daten auf Datenträgern an seinem IT-verplombten Rechnern zu installieren, er bräuchte die Unterlagen bitte in Papierform.

Dies sind nur zwei zusammengefasste Beispiele einer langen Liste an Themen, die die Handwerker sehr konkret und sachorientiert an diesem Abend den Abgeordneten schilderten und diese erschaudern ließen. Gesetze werden zum Schutz erlassen. Aber sie müssen dabei auch praktikabel bleiben. Herr Kaiser betont, wie wichtig daher ein gegenseitiges Rückspiegeln sei. „Die Politik hört zu!“ ermutigt er.

Dass es schwierig werden würde, an diesem Diskussionsabend konkrete Vereinbarungen zu treffen, war jedem im Vorfeld klar.

Neben vielen Überlegungen kann man erste Ergebnisse festhalten: trotz der geäußerten Sorge seitens Herrn Wiese über möglichen Missbrauch, möchte Herr Sensburg die Dokumentationspflicht beim Mindestlohn in kleineren Betrieben, wenn diese nachweislich ohnehin den höheren Tariflohn zahlen, gemeinsam mit ihm auf ein vernünftiges Maß bringen.

Um die Angst vor Abmahnanwälten im Bereich der neuen Datenschutzgrundverordnung zu nehmen, ist laut Herrn Wiese in Berlin bereits ein Gesetzgebungsverfahren angelaufen, um den Auswüchsen im Abmahnrecht zumindest „finanzfinal“ entgegenzutreten.

Auch stünde er bei dem Thema GoBD (Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff) bereits mit dem Bundesfinanzministerium in Kontakt. Wichtig sei es, hier nun entsprechende Arbeitsgruppen zu bilden und „dran zu bleiben“. Herr Sensburg möchte ebenfalls den Finanzminister nochmal anschreiben, um dem Thema Nachdruck zu verleihen.

Herr Schwannecke sprach über Programme und Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zur Regelung des Gleichlaufs zwischen akademischer und beruflicher Bildung, (wie z.B. Berufsabitur oder Stellenwert Meisterbrief u.v.m.) die er voranbringen möchte. Im Zusammenhang der Gleichstellung teilte Herr Kaiser mit, dass das Verfahren zum kostenlosen „Azubi-Ticket bereits läuft und umgesetzt wird.

Bei der Lebensmittelhygienedokumentation möchte Herr Liese prüfen, an welcher Stelle es zur Vorschrift kam, dass die sogenannte „Pflicht zur Darlegung“ auch in rel. kleinen Betrieben schriftlich erfolgen muss. Hier möchte er binnen 12 Monaten erreichen, dass eine mündliche Darlegung ausreicht.

So schnell wird es hingegen zu Änderungen bei der Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge nach Einschätzung von Sensburg nicht kommen, dass sei ein „dickeres Brett“.

Ein Handwerker brachte noch an, dass es für sie schwierig sei, sich politisch zeitnah einzubringen, da sie oft gar nicht mitbekämen, wenn neue Gesetze geplant würden. Dazu nimmt Herr Sensburg die Kammern und Handwerksvereinen mit in die Pflicht, denn diese sitzen bei den Gesetzgebungsverfahren mit am Tisch.

Die Handwerker haben sich erfolgreich Gehör verschafft und die Sitzung gab die ersten Initialzündungen. Trotzdem bleiben Fragen offen, nicht alle Anliegen konnten geklärt werden. Wichtig ist daher, jetzt dran zu bleiben. Herr Lefarth hofft, dass noch mehr Handwerker, auch landesübergreifend, ihre Stimmen erheben und sie so den Druck aufrechterhalten und handfeste Erfolge erzielen können.

BU.: V.l.n.r.: Kaiser (MdL), Schwannecke (Generalsekretär Zentralverband Deutsches Handwerk), Hesse (Präsident Handwerkskammer Südwestfalen), Hans-Josef Berkenkopf (Kreishandwerksmeister), Liese (MEuP), Sensburg (MdB), Wiese (MdB), Lefarth (Handwerksmeister)

Quelle:  Andrea Gnann 

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