Brilon-Totallokal: Stichwort der Woche, von Norbert Schnellen…
brilon-totallokal: Es gibt mal wieder politische Bestrebungen den „Fachkräftemangel“ durch Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland zu beheben. Die Älteren unter uns erinnern sich noch an die geplante „Greencard“ der Regierung Schröder, mit der man ausländische IT-Spezialisten ins Land holen wollte, das jedoch mit mäßigem Erfolg. Auf der anderen Seite fragt man sich, ob unsere Politiker vielleicht schon mal mitbekommen haben, dass mit der „Industrie 4.0“ Millionen von Arbeitsplätzen wegfallen werden. Wofür dann diese Anwerbeaktion?
Früher führten technische Innovationen zu folgendem Effekt: Durch zunehmende Produktivität und einer gleichbleibenden Anzahl von Arbeitsplätzen erhöhte sich einfach die Menge der Produktion. Das Mehr an Gütern und Dienstleistungen wurde durch Ankurbelung des Konsums und eine erhöhte Exportleistung auf den Markt geworfen. Wenn aber der Binnenkonsum ohnehin schon sehr hoch ist (ökologisch gesehen schon um ein mehrfaches zu hoch) und der Exportüberschuss zunehmend zu einer außenpolitischen Isolierung führt, ist das ein Zeichen, dass die Wirtschaftskonzepte von früher heute nicht mehr greifen. Wie und wo sollen dann aber die neuen Jobs entstehen? Die Antwort gibt der amerikanisch-britische Anthropologe David Graeber in seinem aktuellen Buch über „Bullshit-Jobs“.
Seine These ist ebenso gewagt wie einleuchtend. In den westlichen Industrienationen kann man eine zunehmende Zahl von Jobs verzeichnen, die zwar gut bezahlt, aber eigentlich absolut unproduktiv und überflüssig sind. Investmentbanker, Unternehmens- und PR-Berater tragen absolut nichts zur Produktivität bei. „Solche Tätigkeiten sind vollkommen sinnlos und selbst diejenigen, die sie ausüben, können ihre Existenz nicht rechtfertigen, obwohl sie sich im Rahmen ihrer Beschäftigung verpflichtet fühlen, so zu tun, als wäre das nicht der Fall“, so die Ansicht des Autors.
Im Gegensatz dazu werden die wirklich produktiv tätigen Menschen immer mehr ausgepresst. Je hilfreicher und notwendiger eine Arbeit für die Gesellschaft ist, desto schlechter wird sie bezahlt. Gerade Arbeitnehmer in der Pflege, im Handwerk und im Handel können ein Lied davon singen. Durch den globalen Wettbewerb wird der Druck auf die produktiv tätigen Arbeitnehmer (und Unternehmer) laufend verstärkt. Nicht davon betroffen sind die „Bullshit-Jobs“, weil sinnlose Tätigkeiten keinem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind.
Man kann über die Thesen von David Graeber sicher vortrefflich streiten, aber vielleicht können sie dabei helfen eine Diskussion über unser derzeitiges Wirtschaftssystem anzustoßen. Wenn man die „Bullshit-Jobs“ weitgehend abschaffen würde, hätte man vielleicht die Situation, dass wir bei Vollbeschäftigung alle etwas weniger arbeiten müssten und das bei einer, auch ökologisch vertretbaren, Wirtschaftsleistung.
Ihr Norbert Schnellen