Brilon-Totallokal: Stichwort der Woche, von Norbert Schnellen…
brilon-totallokal: Am kommenden Wochenende erfolgt wieder die Zeitumstellung von der Sommer- auf die Winterzeit. Richtig gesehen ist diese „Winterzeit“ die reguläre Zeit unserer Zeitzone, nämlich die „Mitteleuropäische Normalzeit“. In einer Umfrage der EU hat sich eine „große Mehrheit“ dafür ausgesprochen zukünftig keine Zeitumstellung mehr vorzunehmen, sondern das ganze Jahr über bei einer Zeit zu bleiben. Na ja, „große Mehrheit“ ist natürlich relativ. Abgestimmt haben gerade mal 4,3 Millionen Menschen, bei über 512 Millionen EU-Bürgern sind das gerade mal 0,8 Prozent, davon allein 3 Millionen Deutsche. Eine solche Umfrage als repräsentativ zu bezeichnen ist schon etwas gewagt. Das ist so, als wenn die Einwohner von Rheinland-Pfalz bei der anstehenden Europawahl allein alle Abgeordneten wählen dürften. Welche Zeit dann dauerhaft gelten soll ist auch noch nicht klar. Viele würden ja gerne durchgehend bei der Sommerzeit bleiben, aber korrekt ist natürlich die „MEZ“, also die Winterzeit. Die Entscheidung darüber, welche Zeit dann wirklich gelten soll, liegt darüber hinaus bei den nationalen Regierungen der einzelnen Mitgliedstaaten. Dadurch könnte es durchaus passieren, dass man bei einer Reise von Polen nach Italien mehrmals seine Uhr umstellen muss.
Wenn man sich die Medienpräsenz dieses Themas anschaut, scheint die Zeitumstellung eines der größten Probleme der Menschheit zu sein. Dabei war es unseren Vorfahren über Jahrhunderte hinweg völlig egal in welcher Zeitzone sie lebten. Der Alltag der Menschen richtete sich nach dem Stand der Sonne, also nach hell und dunkel. Man duellierte sich im Morgengrauen und zum Dämmerschoppen kam man wann man Lust hatte. Erst durch die Industrialisierung sorgte die Uhrzeit immer mehr für die Strukturierung des Tagesablaufs. Die Stechuhr kontrollierte die Anwesenheit am Arbeitsplatz und nach und nach wurden alle Produktionsabläufe durch Zeitnehmer überwacht und entsprechend optimiert. Auch die zunehmende Mobilität funktionierte nur durch das Einhalten fester Abfahrt- und Ankunftszeiten und in der privaten Freizeitgestaltung richtete sich auch nur noch alles nach der Uhr. Das führte im Endeffekt dazu, dass unser Tagesablauf inzwischen exakt getaktet ist. Auf der Strecke bleibt dabei die Menschlichkeit, also die Fähigkeit sich Zeit für seine Mitmenschen und sich selbst zu nehmen. So fühlt man sich immer mehr von äußeren Bedingungen, die man selber nicht beeinflussen kann, getrieben und gehetzt.
Wer über die Zeit der Menschen verfügt, hat auch die Macht über sie. Die meisten Menschen merken gar nicht, wie stark sie durch ihr enges Zeitkorsett fremdgesteuert sind. Da in unserem Wirtschaftssystem Geld, Konsum und ständiger Wachstum viel mehr zählen, als die Zeit die man für sich und für andere hat, haben wir verlernt, dass die Zeit unser wichtigstes Gut ist. Sie ist bei jedem von uns, rein biologisch bedingt, endlich. Wenn man über Zeit nachdenkt muss man eben auch über seine eigene, begrenzte Lebenszeit nachdenken. Sonst wird man sich im Alter wirklich fragen müssen, ob man überhaupt mal selbst gelebt hat.
Ihr Norbert Schnellen…