Brilon-Totallokal: „ Wir haben die kürzesten Reden und das bessere Essen“
brilon-totallokal: Eckhard Lohmann, erster Vorsitzender des Wirtschafts-Club Hochsauerland, begrüßte die zahlreich der Einladung gefolgten Gäste. Traditionell wie er betonte im „Haus am Wallgraben“ der Familie Wiegelmann. Besonders begrüßte er die ältesten und gleichzeitig treuesten Teilnehmer dieser Empfänge mit den Ehepaaren Späte und Wittler sowie die gern gesehen jüngsten Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Mit diesen besonders begrüßten möchte Eckhard Lohmann die Kontinuität des Wirtschaftsclub verdeutlichen. Mit der bitte um einen herzlichen Applaus für die nunmehr ehemalige Schriftführerin Claudia Rudolph stellte er den anwesenden gleichzeitig ihre Nachfolgerin Christiane Holthaus vor. Für das soeben begonnene Jahr wünschte er den Unternehmen Erfolge bei dem Ausräumen bürokratischer Hindernisse. Noch für dieses Jahr ist eine Reise zum Handelsmuseum Lübeck als Vorbereitung auf die Hansetage 2020 geplant. Mit dem Bonmot „Von allen anderen Neujahrsempfängen haben wir die kürzeren Reden und das bessere Essen“, übergab er das Mikrofon an den diesjährigen Gastredner Moritz Freiherr von Twickel, nicht ohne den Hinweis: „Sie dürfen über alles reden, jedoch nicht über 20 Minuten“.
Moritz Freiherr von Twickel, in sechster Generation das Gut Westheim führend, ist gelernter Brauer und Mälzer, hat daran anschließend das Studium zum Diplom-Braumeister erfolgreich abgeschlossen und sich danach zum Biersommelier fortgebildet. Auf das Bonmot von Eckhard Lohmann eingehend wies Freiherr von Twickel darauf hin, dass in 20 Minuten Fahrzeit in nord-östlicher Richtung seine Heimatstadt Marsberg liegt. Darüber hinaus verwies er darauf, dass er der erste Marsberger Bürger ist, der bei dem Wirtschafts-Club hier in Brilon diese Rede halten dürfe. Über die Verbindungen Marsberg – Brilon betonte er die interkommunale Zusammenarbeit in Form von Personalüberlassung wie folgt: Marsbergs Bürgermeister Klaus Hülsenbeck und Marsbergs Amtsrichter Eberhard Fisch sind Briloner Bürger, die Geschäftsführerin Stadtmarketing Marsberg, Michaela Schröder ist gebürtige Brilonerin. Während der 1. Beigeordnete Reinhard Huxoll und der Wirtschaftsförderer der Stadt Brilon, Oliver Dülme Marsberger Bürger sind. Darüber hinaus teilte er mit, dass seine beiden Kinder im Krankenhaus in Brilon das Licht der Welt erblickt haben. Als weitere Verbindungen der beiden Städte führte er die Leader Region, den Naturpark Diemelsee, Messe Top Nachwuchs für Top Firmen und die Volkshochschule Brilon-Marsberg-Olsberg an. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass sie beide Hansestädte sind. Aus den früher notwendigen Zusammenschlüssen zur Sicherheit der Überfahrten und die Vertretung gemeinsamer Interessen sind in der Neuzeit aktive Netzwerke zwischen den Städten entstanden.
Werteorientierung und wirtschaftlicher Erfolg bei Vernetzung?
Zur Werteorientierung bedarf es eines Blicks in die Vergangenheit der heutigen Familie von Twickel. Die Geschichte der Familie führt in das frühe 13. Jahrhundert zurück. Sie beginnt mit der Familie Stolberg-Stolberg aus dem Harz. Graf Stolberg-Stolberg kaufte 1840 das ehemalige Rittergut Westheim und war unter anderem Landrat des Kreises Büren und Mitglied des preußischen Landtags in Berlin. Auf dem Gut Westheim wurde u.a. eine Brennerei betrieben. Der Rentmeister des Gutes sah sich nach einer Predigt eines Missionars gezwungen die Brennerei zu zerstören. Da auf dem Gut, wie damals üblich, Bier für den Eigenbedarf gebraut wurde, stieg die Nachfrage danach als Ersatz für den Schnaps deutlich. Seit 1862 erfolgte der gewerbliche Verkauf des gebrauten Bieres. 1930 wurde die Bezeichnung „Wertheimer Hirschbräu“ als Warenzeichen eingetragen und ist heute noch geschützt. Um die regionale Herkunft stärker herauszustellen erfolgte 1989 die Umbenennung in „Westheimer“. Durch Eheschließung seiner Großmutter mit Klemens Freiherr von Twickel kam der jetzige Familienname hinzu. Die heutigen wirtschaftlichen Bereiche sind die Brauerei, das Ritzenhoff Outlet, eine Wasserkraftanlage, landwirtschaftliche Flächen und Forstwirtschaft, sowie Beteiligung an der Graf-Stolberg-Hütte in Usseln und Kommanditist am Projekt Bahnhof Brilon-Wald. Der Umsatz des Unternehmens beträgt ca. 4.500.000,00 Euro und rangiert somit nach eigenem Bekunden als Betrieb mit handwerklicher Braukunst im Vergleich mit der „Bäckerei nebenan“. Großindustrie sind wir nicht, so Freiherr von Twickel.
Modernste Technologie ist Grundlage der Produktion, Robotertechnik verkürzt und vereinfacht diverse Abläufe und unterstützt bei der Aussage: „die Menschen bleiben für uns das wichtigste“ Die Ausbildungsquote ist mit neun Prozent annähernd zweimal so hoch wie der Bundesdurchschnitt und damit deutlich über dem benachbarten Großbrauereien im Bereich Brauer und Mälzer. „Wie aber können wir Kleinen uns im Wettbewerb mit der Großindustrie behaupten?“ Diese Frage führt zum Kern der Ausführung von Moritz Freiherr von Twickel und bringt als Antwort: „Die Stärke von Netzwerken – Globales Denken – regionales Handeln“ Zwei Betriebsbereiche als „Best Practice“-Beispiel dienen zur Erklärung. Einerseits die Forstwirtschaft und andererseits die Brauerei.
Als Gründungsmitglied der ersten Fortsbetriebsgemeinschaft in Deutschland haben sich neben der Familie von Twickel 19 größeren und kleineren Waldbauern mit insgesamt 1.800 Hektar Wald zusammengeschlossen. Mit einem privaten Beförsterungsunternehmen, mit dem sie seit 20 Jahren verbunden sind, haben sie eine gemeinsame Versicherung, beschaffen gemeinsam das Pflanzgut und vermarkten ebenfalls gemeinsam das Holz. Unter anderem auch seit vielen Jahren an die Firma EGGER in Brilon. War das Jahr 2018 durch Friederike, Dürre und Borkenkäfer eine besondere Herausforderung, so zeigt sich gerade in solchen Situationen das der Verbund souverän und verlässlich am Markt reagiert, wurde als bedeutender Partner am Markt wertgeschätzt. Moritz von Twickel hob hervor, das ist ein erfolgreiches Netzwerk mit Nutzen für alle beteiligten.
Wertegemeinschaft und Wirtschaftskooperation in einem
Die in der Überschrift genannte Wirtschaftskooperation ist die der „Freien Brauer“. Sie sind kein Verband und auch kein Verein, sondern ein freiwilliger Zusammenschluss, ein Netzwerk unabhängiger Unternehmen die alle einem Familienunternehmen vorstehen. Ihr Handeln im beruflichen Alltag wird durch Werte geleitet. Die Entwicklung und Festlegung von Werten im Verbund ist eine logische Konsequenz für alle Gesellschafter. Es sind die folgenden sieben Werte: 1. Große Freiheit = freie Unternehmer und unabhängig von Konzernvorgaben. 2. Persönliche Verantwortung = langfristige Verantwortung als Arbeitgeber und Ausbilder, als Nachwuchsförderer und Geschäftspartner. 3. Einzigartige Vielfalt = besondere Vielfalt herkunftstypischer Geschmackserlebnisse. 4. Höchste Qualität = Biere mit Charakter aus besten Rohstoffen. 5. Saubere Umwelt = respektvoller Umgang mit Ressourcen. 6. Echte Tradition = Handwerk seit Genrationen mit Leidenschaft und Stolz. 7. Gelebte Heimatverbundenheit = Sicherung lokaler Arbeitsplätze, gesunde regionale Wirtschaftsstruktur.
Die freien Brauer bestehen aus 40 Familien-Brauereien in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Luxemburg. Zusammen beschäftigen sie mehr als 3.000 Mitarbeiter/innen, haben mehr als 400 Biersorten und mehr als 100 Braumeister/innen angestellt. Eine gemeinsame zentrale Geschäftsstelle inklusive strategischem und operativem Einkauf ist in Zeiten der Globalisierung von Bedeutung. Der Gerstenmalzpreis wird an den Rohstoffbörsen international gehandelt da er abhängig ist von der Leitfrucht Weizen. Je nach Nachfrage Volumen, bestimmen auch Spekulanten den Preis. Es ist ein Preis für das Gerstenmalz der nicht durch die Ernteregion bestimmt wird. Es ist daher eine permanente Beobachtung der Märkte notwendig. Die Westheimer Brauerei kann sich einen eigenen, nur für sie tätigen Einkäufer nicht leisten. In dieser Situation zeigt sich die Stärke des Netzwerks. Das Einkaufvolumen der „Freien Brauer“ in Höhe von 80 Millionen Euro führt im Markt zur Wahrnehmung und sie können somit professionell agieren. Neben den einkäuferischen Aktivitäten bietet das Netzwerk weiteren Nutzen. In den Bereichen Technik, Vertrieb, Marketing und Logistik gibt es regen Erfahrungsaustausch. Das funktioniert hervorragend, weil alle voneinander wirtschaftlich unabhängig sind und dieselben Werte teilen.
Abschließend stellte Moritz Freiherr von Twickel fest: „Wir Sauerländer werden oft als Menschen mit rauer Schale, teilweise auch rauem Kern, als nicht am Puls der Zeit, ja teilweise sogar als hinterwäldlerisch und Stur beschrieben. In Wahrheit sind wir hochinnovativ, auch wenn wir nicht jedem Trend wahllos hinterherlaufen, was meiner Meinung nach auch eine Stärke ist. Wir sind verlässlich, gut organisiert, gradlinig und können anpacken. Wir sind Vereinsmenschen und beweisen somit bereits im Alltag unsere Kooperationsfähigkeit und soziale Verantwortung.“
BU.: Vorstand des Wirtschafts-Club Hochsauerland mit der verabschiedeten ehemaligen Schriftführerin Claudia Rudolph, dem Ehrenpräsidenten Hubertus Stickel und dem Gastredner Moritz Freiherr von Twickel. Im Vordergrund, rechts die ältesten, treuen Teilnehmer Leonhard Späte mit Gattin. Links von ihnen die die jüngsten, gern gesehen Teilnehmer des Neujahrsempfangs
Quelle: Peter Kasper