
Stichwort der Woche: Ist das die Berliner Luft?
Brilon-totallokal: Stichwort der Woche, Von Norbert Schnellen
brilon-totallokal: Manchmal hat man den Eindruck, dass es in unserer Bundeshauptstadt irgendetwas gibt, was die Gehirne vernebelt und den nie ausgeträumten Traum einer deutschen Großmacht immer wieder neu aufleben lässt. Liegt es an der Berliner Luft oder sind da noch irgendwelche Altlasten im Boden, zum Beispiel über dem Bunker der Reichskanzlei? Nachdem man mit etlichen Steuermilliarden, die natürlich von den Bürgern in den Provinzen erarbeitet wurden, die ehemalige Reichshauptstadt wieder zum repräsentativen Regierungssitz ausgebaut hat, scheinen die Großmachtfantasien immer noch weiter ins Kraut zu schießen.
Seitdem sich die Stadt von „arm aber sexy“, wie es ein ehemaliger Oberbürgermeister ausdrückte, zur tatsächlich angesagten Partyhochburg entwickelt hat, die gern an das Berlin der „goldenen Zwanziger“ des vergangenen Jahrhunderts anknüpfen möchte, scheinen alle Traditionen der Bescheidenheit der alten Bundesrepublik komplett über Bord gegangen zu sein.
Gut, die Sache mit dem Großflughafen hat bisher noch nicht funktioniert, aber der Aufbau des ehemaligen Stadtschlosses, „auferstanden aus den Ruinen“ des Palasts der Republik, macht inzwischen doch große Fortschritte. Aber auch jenseits des Hauptstadtausbaus hat die „Großdeutsche Republik“ inzwischen alle Hemmungen verloren. Ein sonst eher „hanseatisch bescheidener“ Finanzminister träumt von einer deutschen Großbank mit Weltgeltung, indem er die abgehalfterte Deutsche Bank mit der Commerzbank, die noch vor einigen Jahren mit vielen Steuermilliarden gerettet wurde, fusionieren will. Für Risiken und Nebenwirkungen haftet, wie immer, der Steuerzahler.
Auch die Bundeskanzlerin, die dem „Es ist erreicht“ Schnurrbart des letzten deutschen Kaisers, mit ihrer „Es kann noch mehr erreicht werden“ Raute nacheifert, bringt jetzt ernsthaft den Bau eines eigenen deutschen Flugzeugträgers ins Gespräch. Über den militärischen Nutzen eines solchen Dinosauriers kann man natürlich streiten, unbestritten ist jedoch ein Flugzeugträger das Symbol für einen Großmachtanspruch. Mich würde aber doch mal interessieren, wie man ein solches Waffensystem mit dem reinen Verteidigungsauftrag der Bundeswehr vereinbaren kann.
Was kommt als nächstes? Der Einmarsch in Ungarn, um den unbotmäßigen Viktor Orban abzusetzen und damit den deutschen Führungsanspruch in Europa zu demonstrieren? Gott sei Dank hat unsere Verteidigungsministerin, sicher eine verkappte Pazifistin, die Bundeswehr inzwischen so kampfunfähig gemacht, dass die Ungarn in aller Ruhe Grenzzäune bauen könnten, bevor sich das einzig funktionstüchtige Feuerlöschfahrzeug der Bundeswehr aus dem Emsland in Richtung Budapest in Bewegung setzen könnte. Zwischen dem verbalen Großmachtanspruch und der tatsächlichen Schlagkraft der Truppe liegen nun mal Welten.
Vielleicht geht es mir allein so, aber ich trauere immer noch dem alten Hauptstadtprovisorium am Rhein nach. Mit Bonn war sicher „kein Staat zu machen“, dafür stand es für einen noch wirklich funktionierenden Staat. Der Geist von Beethoven, Adenauer und Schumacher war für eine vernünftige Regierungsarbeit vermutlich zuträglicher, als die Geister, die noch in der Berliner Luft rumschwirren. Vielleicht sollte man da mal die „Ghostbusters“ ranlassen.
Ihr Norbert Schnellen