9. Fachtagung Stadt und Handel – Allianz für Innenstädte

 

Deutscher Städte- und Gemeindebund und der Handelsverband Deutschland ermöglichen Brilon eine Premierenveranstaltung

brilon-totallokal: Der Bürgermeister der Stadt Brilon, die Flächenmäßig die sechst größte Kommune Nordrhein Westfalens ist,  Dr. Christof Bartsch, begrüßte die mehr als 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Veranstaltung des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) und  dem Handelsverband Deutschland (HDE) zu ihrer Fachtagung „Stadt und Handel – Allianz für Innenstädte“ im Bürgerzentrum der Stadt Brilon. Er gab seiner Freude Ausdruck, dass neben den Nachbarkommunen und Städten auch aus den Bundesländern Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Weg in die Stadt des Waldes gefunden haben. Dr. Bartsch wies darauf hin, das Brilon selbst über die Jahre ein stetig gewachsener starker Wirtschaftsstandort ist und sich mitten im derzeit stärksten Wirtschaftsraum von NRW, nämlich Südwestfalen befindet.

Brilon verfügt zurzeit über mehr als 11.500 steuerpflichtige Arbeitsplätze und erlangt hierdurch ein hohes Gewerbesteueraufkommen bei sehr gestreuter Produktion. Mittlerweile hat sich das gesamte Stadtgebiet Brilons auch in ein Tourismusgebiet verändert, was nicht zuletzt durch die Anerkennung als Kneippheilbad weiteren Zuwachs ermöglichte. Natürlich ist diese Tourismusgröße nicht mit den unmittelbaren Nachbarn Willingen und Winterberg vergleichbar. Die Gesundheitliche Ausrichtung als Kneippheilbad wird noch verstärkt durch das städt. Krankenhaus Maria Hilf gGmbH. Diese ausführliche Darstellung der wirtschaftlichen und gesundheitlichen Ausrichtung dient der Standort Weiterentwicklung und ist für den Bürgermeister auch eine Notwendigkeit, um vorhandene Fachkräfte zu halten und dringend notwendig neue hinzuzugewinnen. Dass die Innenstadtentwicklung ebenfalls auf der Agenda der Stadt Brilon steht verstand sich für Dr. Bartsch fast als selbstverständlich. Nähere Ausführungen hierzu wurden durch den Wirtschaftsförderer Oliver Dülme gemacht.

Sehenswerte Innenstadt mit Inhabergeführten Geschäften

Oliver Dülme wies besonders darauf hin, das Brilon im Wesentlichen in seiner Innenstadt Inhabergeführte Einzelhandelsgeschäfte vorweist. Filialgeschäfte sind eher die Ausnahme. Aufgrund funktionierender Absprachen mit dem Einzelhandel sind auch Veränderungen im Alltag für Betreiber und Kunden erkennbar. So ist die Initiative des Einzelhandels zu angemessener Parkraumbewirtschaftung dahin gehend erfolgreich gewesen, das eine vier stündige Parkdauer nur mit 2 Euro zu Buche schlägt. Ebenso erfolgreich und von den Bürgerinnen und Bürgern gern genutzt ist die „Brötchentaste“, die kostenfreie 15-minütigen Einkäufe ermöglicht. Es sind jedoch nicht nur diese Aktivitäten zu erwähnen, sondern das man  seit fast einem Jahr im Gespräch ist, in diversen Arbeitskreisen, mit einem Dortmunder Marketing Unternehmen, zur weiteren Entwicklung und Förderung der Innenstadt mit der Stadt, der Industrie, dem Gewerbe und  Einzelhandel. Oliver Dülme bat zum Ende seiner Ausführungen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich nach Ende der Veranstaltung die nur wenige Schritte vom Veranstaltungsort entfernte Innenstadt Brilons anzusehen. „Sie ist sehenswert“ mit ihrer Vielzahl sehr unterschiedlicher Einzelhandels Geschäfte.

Handel heißt Veränderung

Friedrich Danne, Vorstandsvorsitzender des Handelsverbandes NRW – Südwestfalen wies in seiner Begrüßung darauf hin, dass Handel nicht statisch, sondern immer in Bewegung, sprich Veränderung ist. Waren früher Städte und Handel ineinander verwoben, so hat sich das in den letzten Jahrzehnten stetig verändert. Früher dominierte der Einzelhandel vor Ort. Heute dominiert der elektronische Handel wie Amazon, E-Bay, Zalando usw. 75 Prozent des Einzelhandels finden bereits im Internet statt. Ein hoher Anteil des Einzelhandels würde jedoch auch im Internet aktiv werden, zögert jedoch, da sie nicht die Risiken überschauen. Um hier aktiv zu werden, ist es notwendig seine jeweilige Nische zu finden. In der jetzigen Zeit bestimmt Nachhaltigkeit und Innovation und mündlicher Kontakt das Geschehen. Wir brauchen jedoch, so Friedrich Danne, Einsatz im Zusammenspiel von Handel und Politik um die Kunden/Einwohner, die den Einsatz zu schätzen wissen.

Stadt und Handel – worauf kommt es an?

DStGB? Der Deutsche Städte- und Gemeindebund vertritt die Interessen der Kommunalen Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden in Deutschland und Europa. Er repräsentiert ca. 11.000 Kommunen in Deutschland.

HDE-Nordrhein-Westfalen – Südwestfalen? Der Handelsverband Deutschland, mit seiner Abteilung Nordrhein-Westfalen, Bereich Südwestfalen vertritt die Interessen von zahlreichen Einzelhandels- und Dienstleistungsunternehmen. Der Einzelhandel ist in Südwestfalen die drittstärkste Wirtschaftskraft und einer der wichtigsten Arbeitgeber und Ausbilder in der Region.

Der Referent Bernd Düsterdiek, in Brilon aufgewachsen und hat heute noch feste Verbindungen nach hier, stellt als erstes einen der Sponsoren der Veranstaltung vor. Es ist das Unternehmen Lidl, vertreten durch seinen Bereichsleiter Immobilien, Stephan Zwierzynski. Lidl stellt für die Veranstaltung die Getränke und die Mittagsverpflegung kostenfrei zur Verfügung.

Michael Reink vom HDE aus der Zentrale in Berlin, ist als Bereichsleiter zuständig für Standort und Verkehrspolitik. Er referierte ebenfalls bei dieser Veranstaltung.

Bernd Düsterdiek führt dann aus um was es im Wesentlichen bei dieser Veranstaltung geht. Bildung einer Allianz mit dem Ziel den örtlichen Einzelhandel zu stärken und die Innenstädte und Ortskerne zu beleben. Denn der Einzelhandel befindet sich in einem enormen und dauerhaften Umbruch. Der demografische Wandel, ein immer stärker boomender Online-Handel, die Ausdünnung der Nahversorgung, speziell im ländlichen Raum, sowie neue Trends im Einkaufsverhalten. Sie bewirken eine Erosion des inhabergeführten und stationären Einzelhandels. Insbesondere durch den zeitlich wie regional grenzenlosen Online-Handel konkurriert jedes Einzelhandelsgeschäft mit der ganzen Welt. Die Folge sind steigende Leerstände, ein monotones und austauschbares Straßen- und Geschäftsbild und damit ein „Ausbluten“ der Innenstädte und Ortskerne. Dieses setzt eine Abwärtsspirale in Gang, die weitere Branchen mit sich zieht wie Gastronomie, Hotellerie und in weiterer Folge die Ausdünnung der Nahversorgung. Der Einkauf von Lebensmitteln „um die Ecke“ ist heute schon vielerorts Vergangenheit. Neben dem „Tante-Emma-Laden“ ist auch in vielen ländlichen Gebieten der Arzt und die Schule gegangen. Das grundgesetzliche Postulat von der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ ist nicht gegeben. Die Kommunen und der Handel sind gefordert. Sie müssen an einem Strang ziehen, das gemeinsame Ziel muss seine Innenstädte und Ortskerne attraktiv zu erhalten oder wieder attraktiv zu machen.

Michael Reink stellte eindringlich und ungeschönt die derzeitige und zukünftige Situation dar. Zurzeit ist der Handel an 450.000 Standorten mit 300.000 Unternehmen vertreten. Er hat drei Millionen Beschäftigte, davon 160.000 Auszubildende. Er bedient täglich 50 Millionen Kunden und tätigt einen Jahresumsatz von 525 Milliarden Euro. Der Umsatz entspricht einem brutto Inlands Produkt (BIP) von 16 Prozent. Das sind für sich gesehen imponierende Zahlen. Sie verdeutlichen jedoch nicht, wie ungleich das Verhältnis zum Online Handel ist. Amazon Deutschland tätigt einen Jahresumsatz von 8,8 Milliarden Euro über elf Logistikstandorte in Deutschland. Der Zweitplatzierte in diesem Ranking ist das Handelshaus Otto in Hamburg mit 2,95 Milliarden Euro Jahresumsatz, selbst wenn die Otto-Tochter bonprix mit einem Jahresumsatz von 591 Millionen Euro hinzugerechnet wird, ist der Zweitplatzierte knapp über einem Drittel des Umsatzes des ersten.

Reinke führte weiter aus, dass die Auswirkungen des Online-Handels auf die stationären Geschäfte von 2005 bis 2025 enorme Wirkung hat. In der Ausgangsbasis 2005 existierten bundesweit 385.391 Einzelhandelsgeschäfte. Zum Jahresende 2017 war der Bestand um 86.734 Geschäfte gesunken auf nunmehr 298.657. Die Schätzungen des HDE bis zum Ende 2025, also in sechs Jahren, belaufen sich auf dann nur noch 258.657 Einzelhandelsgeschäfte. Das ist ein weiteres Minus von 40.000 Geschäften. Von 2005 ausgehend hat sich der Bestand somit um ein Drittel vermindert. Trotz dieser Zahlen gilt jedoch: „Der Handel funktioniert nur mit und  nicht gegen das Internet“. Michael Reink führte weiter aus, wie die räumlichen Auswirkungen durch den Online-Handel sind. Nach derzeitiger Einschätzung sind die Metropolen (Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf) durch deutliches Bevölkerungswachstum von der allgemeinen Entwicklung der restlichen Städte abgekoppelt und werden eine gute Entwicklung der dominanten Stadtteilzentren und der Shopping-Center haben.

Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern weisen einen Bevölkerungszuwachs vor allem in den Stadtzentren aus und profitieren weiterhin von einem Arbeitsplatzangebot. Mehr Einwohner bedeuten mehr Marktpotenzial. Dieses Bedeutet Größe und schützt vor schnellem Bedeutungsverlust.

Mittelstädte zwischen 20 und 100.000 Einwohnern zeigen eine uneinheitliche Entwicklung. Sie profitieren dann, wenn sie peripher (am Rand) zu Großstädten gelegen sind. Sie laufen jedoch Gefahr zwischen Erlebniseinkauf in der Großstadt und Nahversorgung in der Kleinstadt in Bedeutungslosigkeit zu versinken. (Inwieweit Brilon schon in den Bereich Mittelstadt zu rechnen ist, kann der Schreiber dieser Zeilen nicht einschätzen.)

Kleinstädte zwischen 5 und 20.000 Einwohnern können einen Bedeutungsgewinn erzielen bei der Nahversorgung durch „steigende“ Distanzsensibilität der Bevölkerung. (Ich fahre doch nicht 10/20 oder gar mehr km zum Einkauf) Ein hoher Anteil des inhabergeführten Einzelhandels führt zu großem Risiko von Geschäftsaufgaben im Nonfood-Bereich. Vorteilhaft für den Einzelhandel ist jedoch andererseits die geringe Attraktivität der Kleinstadt für Filialisten.

Quelle Text + Bild: Peter Kasper

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