Stichwort der Woche: „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger!“

Stichwort der Woche, von Norbert Schnellen

brilon-totallokal: Natürlich war dieser Ausspruch, den man Heinrich Lübke zuschrieb, eine „Zeitungsente“. Später outete sich ein Spiegel-Redakteur als Erfinder der Sprüche, die dem damaligen Bundespräsidenten in den Mund gelegt wurden. Wohl kaum ein deutscher Politiker wurde medial so schlecht dargestellt wie Heinrich Lübke, der vor 125 Jahren in Enkhausen das Licht der Welt erblickte und es bisher als einziger Sauerländer ins höchste Staatsamt dieser Republik geschafft hat. Dabei war dieser Mann, der aus einfachen Verhältnissen stammte, nach der Volksschule am Petrinum in Brilon sein Abitur machte, Landwirtschaft studierte, den 1. Weltkrieg überlebte, dann weiter studierte und als Vermessungs- und Kulturingenieur sowie Nationalökonom abschloss, ein sehr helles Köpfchen. Er wurde Geschäftsführer der deutschen Bauernschaft und der Siedlungsgesellschaft Bauernland. Zum Ende der Weimarer Republik wurde er Zentrumsabgeordneter im preußischen Landtag. Da er nicht mit den Nationalsozialisten kooperieren wollte, wurde er nach deren Machtergreifung aus seinen Ämtern entlassen und saß 20 Monate im Gefängnis. Nach dem 2. Weltkrieg trat er in die CDU ein und war seit 1946 Abgeordneter im Nordrhein-Westfälischen Landtag. Von 1947 bis 1953 war er Landwirtschaftsminister in NRW, von 1953 bis 1959 Bundeslandwirtschaftsminister und von 1959 bis 1969 der zweite Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland.

 

Trotz dieser steilen Karriere blieb Lübke zeitlebens ein bodenständiger Sauerländer und verleugnete nie seine Herkunft. Gerade das war es jedoch, was ihn in Zeiten, in denen von Politikern immer mehr schauspielerisches Talent erwartet wurde, zur Zielscheibe des Spotts in den Medien machte. Seine politischen Verdienste traten bei dieser Manipulation seiner Biografie in den Hintergrund. Vielleicht ist es daher mal an der Zeit für eine kleine Ehrenrettung. Als Landwirtschaftsminister machte er sich zum Beispiel dafür stark, dass der Siedlungsbau für die vielen Menschen, die am Kriegsende aus den deutschen Ostgebieten flüchten mussten oder vertrieben wurden, vorangetrieben wurde. Zu jedem Haus gehörte damals ein großer Nutzgarten und ein Schweinestall, damit es den Menschen ermöglicht wurde, einen Teil ihrer Nahrungsmittel als Selbstversorger zu erzeugen. Weiterhin sorgte er mit Aussiedlungs- und Flurbereinigungsprogrammen dafür, dass deutsche Landwirte auf dem europäischen Markt wettbewerbsfähig wurden. Seine besonderen Verdienste liegen jedoch im Bereich der Entwicklungshilfe. Schon früh erkannte er, dass die Bekämpfung des Hungers in der Welt und die Schaffung von gleichwertigen Lebensbedingungen für alle Menschen eine Grundvoraussetzung für den Fortbestand der menschlichen Spezies sind. Seine zahlreichen Auslandsreisen führten ihn vornehmlich in Länder der „dritten Welt“, weil er hoffte, damit in Deutschland eine Aufmerksamkeit für deren Probleme zu schaffen. Die Gründung der deutschen Welthungerhilfe im Jahr 1962 geht auf seine Initiative zurück.

 

Auch wenn es in seiner zweiten Amtszeit tatsächlich manchmal zu krankheitsbedingten Ausfällen kam, sollte man doch die gesamte Lebensleistung von Heinrich Lübke betrachten. Dann können wir wirklich stolz auf „unseren Bundespräsidenten“ sein.

 

Ihr Norbert Schnellen

 

 

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