„Das erklärt dann auch, warum man die Kontakte einschränkt“
brilon-totallokal: Es sind besondere Zeiten, keine Frage. Normalerweise würde Prof. Dr. Stefan Böcker dieser Tage Vorlesungen in den Hagener Hörsälen der Fachhochschule Südwestfalen halten und die Fragen von Studierenden beantworten. Jetzt gibt er ein Interview zu Themen wie „exponentielles Wachstum“ oder „Herdenimmunität“. Drei Fragen an den Wirtschaftsinformatik-Professor.
Frage: Die Naturwissenschaften erfahren in der aktuellen Krisensituation eine enorme gesellschaftliche Aufwertung. Wie fühlt man sich in diesen Tagen als Naturwissenschaftler?
Prof. Dr. Stefan Böcker: Eigentlich fühlt man sich wie alle anderen auch. Vielleicht etwas informierter, weil man ja versteht, worüber die Experten gerade reden.
Frage: Einer der mathematischen Begriffe, die derzeit im Volksmund liegen, ist der des „exponentiellen Wachstums“. Was ist darunter zu verstehen?
Prof. Dr. Stefan Böcker: Seriöserweise müsste man hier viel mehr erklären, weil das exponentielle Wachstum die wesentlichen Teile der Krise und insbesondere der Maßnahmen gar nicht erklärt. Aber sehr verkürzt: Wenn jeder Erkrankte durchschnittlich 2 weitere Personen pro Tag ansteckt, dann sind in Tagesfolge 1, 2, 4, 8, 16, 32, 64, 128, 256, 512 ,1024, 2048, 4096, 8192, 16384, 32768, 65536, 131072, 262144, 524288, 1048576, 2097152 Personen neu infiziert, also nach 3 Wochen schon mehr als 2 Millionen Neuninfizierte täglich, also insgesamt knapp 4,2 Millionen Infizierte. Das geht also sehr schnell.
Das Modell ist aber stark vereinfacht, das tatsächliche ist komplizierter, weil darin detaillierter modelliert ist, wie man sich infiziert. Übrigens: Die Geschwindigkeit der Ausbreitung hängt davon ab, wie viele Menschen jeder durchschnittlich infiziert. Und das erklärt dann auch, warum man die Kontakte einschränkt, wenn man die Geschwindigkeit reduzieren will. Wenn jeder nur durchschnittlich 1,5 Personen infiziert, ist das alles viel langsamer, aber immer noch exponentiell, und nach 3 Wochen nur knapp 5000 Personen neu erkrankt, bei nur 1,1 Personen pro Tag sind es nach 3 Wochen nur 7 bis 8 Neuerkrankte.
Frage: Man liest auch viel von der so genannten „Herdenimmunität„. Warum bremst sie das exponentielle Wachstum irgendwann aus?
Prof. Dr. Stefan Böcker: Das ist der in der exponentiellen Entwicklung fehlende Teil. Grob kann man das so erklären: Die Anzahl der Neuinfizierten hängt eigentlich mindestens von drei Größen ab: Der Anzahl der Erkrankten, der Anzahl der Noch-Nicht-Erkrankten und der Anzahl derjenigen, die nicht mehr krank werden können, weil sie es schon waren und nun immun sind.
Diese letzte Größe „verhindert“ gewissermaßen das Wachstum der Anzahl der Erkrankten, weil der Kontakt mit diesen ja keine Neuninfektion erzeugt, also wieder wie oben die durchschnittliche Anzahl von Neuinfektionen reduziert. Auch das ist verkürzt, aber der dritte Faktor ist im Modell nochmal deutlich komplizierter.
Bild: Prof. Dr. Stefan Böcker ist Dekan des Fachbereichs Technische Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Südwestfalen und Professor für Wirtschaftsinformatik.
Foto: Alexander Althöfer/ Fachhochschule Südwestfalen
Quelle: Fachhochschule Südwestfalen