Immer mehr Gläubige wenden sich enttäuscht und frustriert von der Kirche ab; eine Entwicklung, die übrigens die evangelische Kirche in gleichem Maße verzeichnet.
Als Benedikt XVI. vor knapp zehn Jahren spektakulär sein Amt als Papst niederlegte und sich ins Kloster hinter den Mauern des Vatikans zurückzog, hofften viele Katholiken, gerade auch in Deutschland, auf die Chance für einen Neuanfang in der Amtskirche. Benedikt galt als Bewahrer, der in seinen acht Jahren als Pontifex der Kirche kaum neue Impulse verliehen hatte. Heute, da Benedikts Nachfolger Franziskus seit knapp einem Jahrzehnt als Papst amtiert, muss man bilanzieren: Aus dem erhofften „Neustart“ ist nichts geworden, stattdessen steckt die katholische Kirche tiefer in der Krise denn je. Von Franziskus als Hoffnungsträger ist nicht viel geblieben.
So volksnah und bescheiden Franziskus angetreten war, so unbeweglich und abweisend zeigte er sich gegenüber fast allen Vorschlägen für Reformen. Die Möglichkeit der Ehe für Priester, eine stärkere Rolle von Frauen in der Kirche, die Abkehr von der verknöcherten Sexualmoral – in all diesen Punkten, die viele Katholiken bewegen, gibt es auch unter dem Papst Franziskus keine oder kaum Bewegung im Vatikan. Den deutschen Bischöfen, die mit ihrem Synodalen Weg eine neue Richtung einschlagen wollen, beschied Franziskus knapp, Deutschland brauche „keine weitere evangelische Kirche“. Man solle sich doch lieber um das Befinden der Gläubigen kümmern, als kirchenpolitische Diskussionen zu führen. Eine Brüskierung für die Bischofskonferenz.
Die Folgen der reformkritischen Haltung im Vatikan sind offensichtlich. Immer mehr Gläubige wenden sich enttäuscht und frustriert von der Kirche ab; eine Entwicklung, die übrigens die evangelische Kirche in gleichem Maße verzeichnet. Die Zahl der Menschen, die bei der Kirche Halt, Trost und vor allem Orientierung finden, sinkt rapide. Glaube und Religion werden mehr und mehr aus dem Alltag der Gesellschaft verdrängt. In der deutschen Bevölkerung sind Katholiken und Protestanten inzwischen in der Minderheit.
Die Euphorie hierzulande war groß, als Joseph Ratzinger 2005 als erster Deutscher nach einem halben Jahrtausend ins Papstamt gewählt wurde. Es formierte sich die „Generation Benedikt“. Als der Papst wenige Monate nach seinem Amtsantritt zum Weltjugendtag nach Köln anreiste, schallten ihm die begeisterten „Be-ne-det-to“-Sprechchöre Tausender Jugendlicher entgegen. Doch dieser Schwung war schnell dahin.
Heute deutet nichts darauf hin, dass Benedikt-Nachfolger Franziskus noch einmal die Kraft für einen Kurswechsel aufbringt – sofern er einen solchen überhaupt will. Der Pontifex ist inzwischen 86 Jahre alt. Öffentliche Auftritte, wie zuletzt bei der Christmette an Heiligabend im Petersdom, absolviert er wegen eines hartnäckigen Knieleidens meist im Rollstuhl. Insgesamt wirkt er obendrein immer öfter müde und angeschlagen. Wie schon bei Johannes Paul II. und auch bei Benedikt XVI. stellt sich inzwischen die Frage, wie sehr der Papst noch Chef ist im Vatikan.
Inzwischen scheint es sogar nicht mehr ausgeschlossen, dass Franziskus nach dem Vorbild Benedikts zurücktritt. Für den Fall, das Papstamt nicht mehr ausüben zu können, habe er bereits eine Verzichtserklärung unterzeichnet, sagte Franziskus kürzlich in einem Interview. Und angesprochen auf einen möglichen Rücktritt erklärte er: „Die Tür steht offen. Das ist eine ganz normale Option.“ Für viele reformorientierte Katholiken bleibt da nur die vage Aussicht auf einen neuen Hoffnungsträger im Vatikan.
Quelle:BERLINER MORGENPOST
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