Peter Liese: Wenn die rettende Medizin in der Apotheke fehlt, ist Handeln angesagt
Kürzlich fand im Kreishaus in Meschede eine Diskussionsveranstaltung statt, die sich mit der zunehmend besorgniserregenden Thematik der Arzneimittelknappheit in Deutschland auseinandersetzte. Organisiert wurde die Veranstaltung vom gesundheitspolitischen Sprecher der größten Fraktion im EU-Parlament, dem südwestfälischen MdEP, Dr. med. Peter Liese, CDU, und der Frauen Union im Hochsauerlandkreis (HSK).
In den vergangenen Jahren hat sich das Problem der Arzneimittelknappheit dramatisch verschärft. Die Anzahl der Erstmeldungen von Lieferengpässen bei kritischen Arzneimitteln ist von 265 im Jahr 2018 auf 680 im Jahr 2022 angestiegen. Allein bis Juni dieses Jahres gab es bereits 497 solcher Meldungen. Betroffen sind unter anderem Medikamente für Herzpatienten, psychische Erkrankungen und Krebsmedikamente. Diese Engpässe führen nicht nur zu einer enormen psychischen Belastung für Patienten und deren Angehörige, sondern stellen auch eine Herausforderung für das medizinische Personal dar. Die Diskussionsveranstaltung bot eine Plattform, um die Dringlichkeit der Lage zu erläutern und mögliche Lösungen zu diskutieren. Neben Liese nahmen der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. med. Klaus Reinhardt, der Apotheker Dominik Mörchen und Dr. med. Dr. oec. Richard Ammer, der stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie und geschäftsführender Inhaber der Firma MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG aus Iserlohn an der Expertendiskussion teil. Moderiert wurde das Expertenpanel von Frau Annemarie Schüngel, Vorsitzende der Frauen Union im HSK. Die Veranstaltung fand als Hybridveranstaltung statt, was die breite Teilnahme sowohl vor Ort als auch digital ermöglichte.
Der Präsident der Bundesärztekammer Dr. med. Klaus Reinhardt beschrieb die schwierige Situation in den Praxen. „Momentan sind die Meldungen von Lieferengpässen bei Arzneimitteln rund dreimal so viel wie vor drei Jahren, was einen wirklich besorgniserregenden Zustand darstellt. Wir fordern daher entschiedene Maßnahmen: Die Einrichtung einer nationalen Reserve für kritische Arzneimittel, Anreize zur Rückführung der Produktion in europäische Länder, eine EU-weite Lösung für wiederkehrende Engpässe, die Überprüfung und Diversifizierung der Lieferketten sowie die Verpflichtung zur Meldung drohender Lieferengpässe. Uns muss bewusst sein, dass die Rückführung von Produktionsstätten nach Europa zwar höhere Kosten verursacht, aber dieser Mehraufwand ist es wert, da er uns Unabhängigkeit und Therapiesicherheit bringt. Die dafür aufgewendeten Mittel sind eine Investition in unsere Autonomie und in die Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger.“
Peter Liese hat es sich als gesundheitspolitischer Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament (EVP-Christdemokraten) schon 2019 gemeinsam mit der Bundesärztekammer und Experten wie Dr. Ammer um das Problem gekümmert. Sein Antrag, dass sich das Europäische Parlament systematisch mit der Frage beschäftigt und Lösungsvorschläge erarbeitet, wurde zunächst abgelehnt. Grüne, Sozialdemokraten. Linke und die Mehrheit der Liberalen waren der Meinung, dass der sogenannte Green Deal wichtiger ist. „Darüber habe ich mich damals sehr aufgeregt. Ich bin überzeugter Umweltpolitiker aber wichtige Fragen wie Arzneimittelversorgung dürfen nicht unter dem Green Deal leiden“, so Liese. Mit Verzögerung haben dann sowohl das Europäische Parlament als auch die Europäische Kommission die Bedeutung des Themas erkannt.
Leider ist seitdem zu viel Zeit verstrichen, ohne dass gehandelt wurde. „Die Arzneimittelknappheit in Deutschland hat sich seit 2019 dramatisch verschärft, eine Realität, die ich selbst bei meinem Einsatz in der Kinderklinik Paderborn erlebt habe, wo Kinder stationär behandelt werden mussten, nur weil kein Antibiotikasaft verfügbar war. Diese Engpässe belasten Patientinnen und Patienten sowie das medizinische Personal enorm. Ein spezifisches Problem in Deutschland ist die Billigmentalität bei patentfreien Medikamenten, die zu einer Verlagerung der Produktion ins Ausland geführt hat. Trotz einiger Ansätze von Herrn Lauterbach, die Produktion in Europa zu stärken, reichen diese Maßnahmen nicht aus. Wir müssen die Prozesse beschleunigen und die Produktionskapazitäten in Europa, ähnlich wie bei der Corona-Pandemie, effektiver nutzen.“
„Im Generikasektor ist es überfällig, das Kriterium ‚Der billigste bekommt alles‘ aufzuheben. Wir benötigen Mehrpartnermodelle, die die Versorgungssicherheit erhöhen, indem bei Lieferunfähigkeit eines Anbieters ein anderer einspringen kann. Derzeit ist der Preis das einzige Vergabekriterium, und mit diesen Bedingungen können wir nicht mit Fernost mithalten. Wir haben strengere Umweltauflagen und höhere Qualitätsanforderungen, die zu starken Gemeinkostentreibern führen, welche pro Packung umgelegt werden müssen. Daher brauchen wir bei den Ausschreibungen auch ein Kriterium ‚Made in Europe‘, um Deutschland sowie Europa wieder zur Apotheke der Welt zu machen“, die bekräftigte auch Dr. Ammer.
Dominik Mörchen erklärte, wie die Probleme in Apotheken vor Ort aussehen: „In unserer täglichen Arbeit stehen wir vor der Herausforderung, ständig improvisieren zu müssen, um die Medikamentenversorgung aufrechtzuerhalten. Ob durch die Eigenherstellung von Medikamentensuspensionen aus Tabletten oder den Bezug von Medikamenten aus dem Ausland – es ist ein kontinuierlicher Kampf gegen die Nichtverfügbarkeit. Die Situation erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Apotheken und Ärzten, um trotz der Schwierigkeiten eine adäquate Versorgung der Patienten zu gewährleisten.“
Alle Beteiligten waren sich einig, dass man in diesem Winter pragmatisch handeln muss und zum Beispiel andere Packungsgrößen und Beschriftung in anderen Sprachen unbürokratisch akzeptiert werden müssen. Das man aber langfristig das Übel an der Wurzel packen muss.
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Quelle: Dieter Berger, Europabüro für Südwestfalen und das Hochstift, Meschede
Fotocredit: Europabüro für Südwestfalen und das Hochstift