Wladimir der Schreckliche – Doch Putins Demokratie-Spektakel ist mehr Schein als Sein – Propaganda-Lüge einer Diktatur

„Berliner Morgenpost“: Wladimir der Schreckliche – Leitartikel von Michael Backfisch zur Präsidentenwahl in Russland

Selten wurde eine Wahl-Show so durchchoreografiert wie die der Kreml-Regisseure: Der russische Präsident Wladimir Putin wurde mit fulminantem Ergebnis bei satter Wahlbeteiligung im Amt bestätigt. Triumphaler Sieg, überwältigende Zustimmung zum Krieg gegen die Ukraine, lautet das Narrativ der staatlichen Jubel-Kommandos. Es stand alles vorher fest.

Doch Putins Demokratie-Spektakel ist mehr Schein als Sein. Es erinnert an die Erzählung über den Fürsten Potjomkin, der 1787 Ortschaften aus bemalten Kulissen errichten ließ, um der Zarin Katharina der Großen den Wohlstand der eroberten Region Neurussland vorzugaukeln – die berühmten Potemkinschen Dörfer.

Hinter Putins Potemkinschen Dörfern steckt die Propaganda-Lüge einer Diktatur. Die drei zugelassenen Konkurrenten waren Operettenkandidaten, die ein bisschen Wettbewerb suggerieren sollten, aber alle brav die Kreml-Melodie sangen. Der aussichtsreichste Herausforderer, der Kriegs-Kritiker Boris Nadeschdin, wurde mit dem fadenscheinigen Verweis auf Formfehler disqualifiziert. Der gefährlichste Gegner Putins, Alexej Nawalny, wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit von Putins Schergen umgebracht.

Die Mitarbeiter von Behörden und Staatsunternehmen standen unter immensem Druck, das Kreuz an der richtigen Stelle zu machen. Dass Putin auch in den besetzten Gebieten der Ukraine abstimmen ließ, ist ein eklatanter Bruch des Völkerrechts.

Der alte und neue Präsident zementiert mit dieser „speziellen Wahl-Operation“ seinen Ewigkeitsanspruch auf die Macht. Doch wie bei allen Diktatoren lässt sich bei Putin das Paradox der Alleinherrschaft beobachten: Je länger er im Amt ist, desto größer werden sein Misstrauen und seine Allergie gegen Widerspruch. Putin wird künftig noch mehr auf Angst und Terror setzen. Der Polizeistaat wird die Jagd auf Oppositionelle erhöhen. Diese sind auch im Ausland nicht mehr sicher, wie der brutale Angriff auf den Nawalny-Vertrauten Leonid Wolkow in Litauen zeigt. Wie Zar Iwan der Schreckliche, dessen Leibgarde – „Opritschniki“ – im 16. Jahrhundert Gegner des Machthabers enteignen und hinrichten ließ, wird der Kremlchef künftig Andersdenkende noch mehr bedrohen und einsperren.

Die wachsende Repression im Land geht einher mit einem immer barbarischeren Krieg gegen die Ukraine, in dem Hunderttausende Soldaten verheizt werden.

Putin ist von einem imperialen Wahn besessen, der die Auslöschung der unabhängigen Ukraine vorsieht. Sein alter Satz, dass „der Zusammenbruch der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ sei, darf als ideologische Unterfütterung seiner Außenpolitik gesehen werden. Dahinter stecken Hass und Revanche gegen den Westen sowie der Wunsch, die Geschichte in Form eines post-sowjetischen Imperiums rückgängig zu machen.

Dies hat schwerwiegende Konsequenzen für Europa. Putin baut darauf, dass dort die Kriegsmüdigkeit zu- und die Unterstützung für die Ukraine abnimmt – insbesondere in Deutschland. Die neuerdings bei der SPD aufwallende Friedenssehnsucht kommt seinem Kalkül zupass. Fraktionschef Mützenich begeht mit seinem Vorschlag, über ein „Einfrieren“ des Krieges in der Ukraine zu sprechen, einen fatalen Denkfehler. Diktatoren wie Putin machen keine Kompromisse. Sie kämpfen für einen Diktatfrieden. Die Kapitulation der Ukraine wäre auch eine Niederlage für den Westen – und eine Einladung an Putin, weiterzumachen. Wollen wir das?

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BERLINER MORGENPOST, Redaktion
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