Berliner Morgenpost: Trump, ein Verbrecher. Leitartikel von Dirk Hautkapp
Ende Juni treffen sich zwei alte Männer in Atlanta in einem Fernsehstudio. Sie wollen Amerika davon überzeugen, dass nur sie es verdienen, nach der Präsidentschaftswahl im November die Schlüssel zum Weißen Haus überreicht zu bekommen. Besonderheit: Beide kennen sich dort aus. Aber nur einer von ihnen, und es ist nicht Amtsinhaber Joe Biden, darf dann als verurteilter Krimineller bezeichnet werden – wenn auch noch nicht letztinstanzlich: Donald J. Trump.
Der 45. Präsident der USA ist in einem beispiellosen Prozess schuldig gesprochen worden. Das Votum der zwölf Geschworenen: Trump hat bei dem Versuch, eine außereheliche Sex-Affäre vor der Wahl 2016 unter der Decke zu halten, absichtsvoll Gesetze gebrochen. Das einstimmige Urteil in New York geht in die Geschichtsbücher ein. Noch nie wurde ein ehemaliger Chef der führenden Supermacht der westlichen Welt vor der Justiz offiziell zum Verbrecher gestempelt.
Das allein müsste, losgelöst vom ausstehenden Strafmaß, das soft (Bewährung) bis hart (Gefängnis-Overall) ausfallen kann, in einer gesunden Demokratie zu einer radikalen Therapie führen: der Aufgabe der Präsidentschaftskandidatur durch Trump selbst, um Schaden vom Land, vom Amt und von seiner Partei abzuwenden. Oder einem politischen „Königsmord“ der Republikaner in einem staatspolitischen Notfall. Beides wird nicht geschehen. Eine Schande.
Auch weil die US-Verfassung es aberwitziger Weise billigt, dass ein Präsident sogar aus dem Gefängnis heraus die Staatsgeschäfte führen könnte, stehen den Vereinigten Staaten höchst unruhige Monate ins Haus. Mit der unverbrüchlichen Rückendeckung seiner Millionen Anhänger wird Trump noch schamloser als bisher die verfolgte Unschuld geben, den Opferkult füttern und dem Rechtsstaat und den ihn tragenden Personen ziemlich unverklausuliert mit Vergeltung drohen.
Weil das Urteil vom Donnerstag vor der Wahl am 5. November aller Wahrscheinlichkeit nach keine abschließende Rechtskraft erlangen wird, stehen Trumps Chancen auf Chaos-Realisierung nicht schlecht. Er müsste nur die Wahl gewinnen. Niemand, auch nicht in New York, wird es dann wagen, einen „President-Elect“ einzusperren. Und sei es auch nur durch Hausarrest. Nach der Amtseinführung im Januar würde Trump das „Hush Money“-Urteil um den Porno-Star Stormy Daniels und die auf Eis liegenden Strafverfahren wegen Diebstahls von Staatsgeheimnissen und des Versuchs, den Wahlsieg Bidens von 2016 nachträglich zu kippen, einstampfen lassen.
Die Aussicht, dass ein notorischer Rechtsbeuger und Lügner abermals davonkommen könnte, wenn ihm die Mehrheit der Wähler im Herbst nicht nach 2020 endgültig die Rote Karte zeigt, ist in höchstem Maße beunruhigend. Das gilt nicht minder für das Desinteresse, mit dem viele Amerikaner den Prozess bisher abstraften. Trump wollte diese eine Eskapade mit einer Erotikdarstellerin unbedingt verbergen. Weil er wusste, dass sie ihm im Kampf gegen Hillary Clinton das Genick gebrochen hätte. Nur darum beauftragte er seine damalige juristische Allzweckwaffe Michael Cohen, Stormy Daniels mit Schweigegeld zu sedieren. Und die Rückerstattung illegal zu verschleiern.
Die moralische und charakterliche Verwerflichkeit, mit der hier der amerikanische Souverän erfolgreich hinters Licht geführt wurde, sucht seinesgleichen. Das darf sich nicht wiederholen. Ein verurteilter Verbrecher sollte niemals ins Weiße Haus gelangen.
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