14 Tote junge Erwachsene in 3 Jahren im HSK

Brilon-Totallokal: Bäume im Sauerland gehen bei einem Unfall nicht zur Seite!

brilon-totallokal:  Fünfhundertfünfzig Schülerinnen und Schüler der Gymnasien und Berufskollegs aus Brilon, Marsberg und Winterberg waren der mittlerweile zweiten Einladung der Kreispolizeibehörde des HSK zu einer Crash Kurs-Veranstaltung in die Aula des Gymnasiums Petrinum gefolgt. Sie wollten sich in einer ungewöhnlichen Präventionskampagne auf die möglichen Folgen von Verkehrsunfällen einlassen und informieren. Durch die Schilderung persönlich Betroffener, seien es Polizeibeamte, Feuerwehrmänner, Notarzt, Notfallseelsorger, Sanitäter oder Unfallbeteiligte, erhält die Darstellung vielmehr Authentizität als bei der Betrachtung von Unfallbildern. Bei jährlich drei bis vier Veranstaltungen dieser Art, mit jeweils erhöhten Schülerzahlen, erreicht die Behörde die Gruppe der achtzehn bis vierundzwanzig jährigen die auf dem Weg zum Führerschein sind oder in gerade frisch erworben haben. Mit dem Slogan GAGA umschreibt die Behörde Schlagwortartig die relevanten Punkte für die Teilnahme am Straßenverkehr. GAGA steht für: G= Gurt rettet leben, A= Alkohol ist tödlich(e Unfallursache), G= Geschwindigkeit ist Killer Nr. 1 und A= Ablenkung beim Autofahren, (Smartphone usw.) verursacht immer häufiger schwerste Unfälle. Sechs Verkehrssicherheitsberater sind im HSK dafür unterwegs, jungen Erwachsenen Gefahren und Gefährdungen aufzuzeigen.

Wir haben nichts mit den Verunfallten zu tun, aber das Geschehene bleibt an uns hängen

Die Realität ist nicht cool! Wir zeigen euch die Realität. Damit ihr sie so hoffentlich nicht erlebt. Mit diesen Worten führt Rolf Schemme, Verkehrssicherheitsberater und Moderator der Veranstaltung die anwesenden in die Veranstaltung ein. Jede Person die durch Verkehrsunfälle aus dem Leben scheidet, hinterlässt einhundert Personen, die mit ihm oder ihr verbunden waren. Seien es Eltern, Freunde, Sportkameraden, Berufskollegen/innen und weitere.

Antonius Bigge – 54 Jahre, verheiratet und Vater zweier Töchter, von der Polizeiwache Marsberg berichtet von einem Verkehrsunfall den ein junger Mann auf dem Weg zu seiner Verlobten verursacht hat. Während des Nachtdienstes wird er zu einem Unfallgeschehen gerufen, das durch einen anderen Verkehrsteilnehmer gemeldet wurde. Die Meldung lautete: Da war ein lauter Knall, aber ich kann nicht sehen was es ist. Vor Ort eingetroffen ergibt sich kein klares Bild da der Unfallort von der Madfelder Straße her kaum einsehbar ist. Im Taschenlampenlicht ist unter Fichtengrün ein auf dem Dach liegendes Fahrzeug mühsam auszumachen. Sowohl von der Fahrer- als auch von der Beifahrerseite war kein Zugang in das Fahrzeuginnere möglich. Über die Leitstelle wurde Verstärkung, Feuerwehr und Rettungskräfte angefordert. Unter Einsatz von schwerem Werkzeug und Hebegerät konnte das Fahrzeug aufgerichtet und auf die Räder gestellt werden. Der Raum zwischen Dach und Boden des Fahrzeuges betrug nur noch dreißig Zentimeter. Der Notarzt konnte hier keine Hilfe mehr leisten. Vadim, der Fahrer konnte vor Ort nicht aus dem zerquetschten Fahrzeug geborgen werden, dies war erst auf dem Betriebshof möglich. Die Frage der Unfallursache war nicht eindeutig zu klären. Überhöhte Geschwindigkeit war auf jeden Fall mit dabei. Sechs bis sieben Bäume wurden durch das Fahrzeug ausgerissen, der siebte war zu dick, wurde jedoch stark beschädigt. Mit Vadim schied ein junger Mann aus dem Leben der noch viele Träume hatte, die er sich erfüllen wollte. Eine eigene Familie, ein Haus und ein eigener Betrieb waren nur einige davon.

Antonius Bigge hat zum Schluss seiner Schilderung nur noch eine Bitte an die Zuhörerschaft: Schnallt Euch an! Keinen Alkohol und keine Drogen beim Autofahren! Seid Aufmerksam! Fahrt nicht zu schnell!

Gerüche und Schreie werden über die Bilder nicht transportiert, prägen sich aber ein

Karsten Müller – 41 Jahre alt, gebürtiger Olsberger, seit 2003 auch als Notarzt tätig und seit 2007 in Lünen als Anästhesist an einer Klinik tätig und als Notarzt im Rettungsflug im Einsatz. Der Einsatz im Rettungsflug ist extrem, da das Unfallgeschehen sehr unterschiedlich und in vielen Fällen sehr drastisch ist. So berichtet er von einem Verkehrsunfall, bei dem ein junger Mann schwerste Kopfverletzungen erlitten hat. Das Fahrzeug war auf der Fahrerseite mit vermutlich überhöhter Geschwindigkeit, gegen einen Baum geschlagen und in diesem Bereich fast auf die Hälfte seiner Breite eingedrückt worden. Bei eintreffen des Notarztes atmete der Fahrer noch. Jedoch aus der Nase und dem stark beschädigten Schädel drangen mit jedem Herzschlag Hirnmasse und Blut heraus. Wissend, dass dem jungen Mann nicht zu helfen war, wurde jedoch der Transport mit dem Helikopter zum Krankenhaus durchgeführt. Dieses blieb jedoch erfolglos. Ein weiterer Einsatz von dem Karsten Müller berichtete war ebenso drastisch von ihm dargestellt. Hier betraf es zwei Unfallopfer bei denen ebenfalls jede Hilfe zu spät kam. Einprägend für ihn war hier, neben dem Fahrzeug liegen links und rechts unter weißen Tüchern die Leichname und im Fahrzeug liegen Fotografien, teils gerahmt, zerbrochene Rahmen und Glas liegen überall herum. Auf den Bildern zwei junge Menschen die scheinbar Freude am Leben und der Gemeinsamkeit hatten.

Auch als Beifahrer kann man Einfluss nehmen

Lutz Klosterhoff – 52 Jahre Polizeiwache Arnsberg schilderte seinen Einsatz bei einem Unfall, der damals nicht nur das gesamte Hochsauerland aufschreckte. Auf der Strecke von Oeventrop nach Freienohl (Scherse) war ein Pkw mit einem Holztransporter zusammen gestoßen. In dem Pkw waren fünf junge Leute auf dem Rückweg von einer Veranstaltung in Köln. Zwanzig km von zu Hause entfernt verunglücken sie tödlich. Das Unfallgeschehen war so heftig, dass der Holztransporter umstürzte. Der Pkw wurde mehrere Meter zurückgeschleudert. Lutz Klosterhoff bleibt haften, das die Situation dramatisch wurde da immer mehr Tote am Straßenrand unter Tüchern abgelegt wurden. Am Ende waren es fünf junge Leute zwischen siebzehn und dreiundzwanzig Jahren aus dem Olsberger Raum. Er sagt heute noch dass er Glück hatte, die betroffenen Angehörigen nicht benachrichtigen zu müssen. Seine eigene Tochter hatte selbst ein Unfallerlebnis, welches auf überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen ist. Nachts erreicht ihn der Anruf „Papa, wir haben einen Unfall gehabt“. Da sie selbst am Telefon war, war dies für ihn ein beruhigendes Zeichen. Seine Tochter hat für sich daraus die Lehre gezogen, indem sie bei Mitfahrten den Fahrer auffordert „Fahr langsam, oder ich steig aus.“

Zu dem geschilderten Unfall wurde auch der Löschzug Oeventrop alarmiert. Thomas Sölken, 27 Jahre und Ralf Krauss, 46 Jahre schilderten ihren Anteil an der Rettungsaktion. Die Meldung, die sie erreichte lautete Verkehrsunfall mit mehreren eingeklemmten Personen. Als sie eintrafen waren aus den fünf Personen fünf Tote geworden. Ihre Aufgabe war es die Körper aus dem Fahrzeug zu bergen. Ein abgetrennter Kopf im Fußraum, der Körper unter dem Fahrersitz. Nicht nur dieses belastete sie schwer. Die Gerüche, die bei solch einem Geschehen vorhanden sind belasten vielmehr. Es ist eine Vermischung von Benzin, Öl, Blut, Urin und Kot. Diesen Geruch bekommen sie lange Zeit nicht aus der Nase. Ihre Rückfahrt zur Wache nach Oeventrop schildern sie als relativ schweigend. Abschalten oder gar schlafen ist danach nicht möglich. Danach bedeutet, es zieht sich bis zum Mittag des Folgetages hin, bevor die Müdigkeit einem Gefühlsausbruch raum schafft.

Der an dem Unfall unschuldig beteiligte Lkw-Fahrer Heinz Rohleder – 49 Jahre alt schildert den Hergang ruhig und gefasst. Ihm ist von diesem Unfall das Gefühl der Hilflosigkeit und Trauer geblieben. Das eigentliche Geschehen erfolgte so schnell, das seine Erinnerung erst wieder da ist, als er versucht aus dem umgestürzten Lkw-Führerhaus herauszukommen. Sein erster Eindruck war, ein totes Mädchen liegt auf der Straße und ein toter junger Mann auf der Motorhaube. Später hört er von den fünf Toten. Schuld oder nicht Schuld ist für ihn nicht die Frage. Die Bilder kann man nicht vergessen, das ist sein Schlusssatz.

Am 12. März 2011 verunglückt Dominik Schreivogel nach seiner Meisterfeier auf der nächtlichen Rückfahrt nach Remblinghausen schwer. Auf abschüssiger Straße gerät er mit dem Fahrzeug in den Graben. Motor herausgerissen, Vorderräder abgerissen an einer Betonabdeckung des Grabens. Sofort Feuer im Motorraum. Zu Hause kommt Dominik erst neun Monate später an. Seine Verletzungen sind so schwer, dass er per Hubschrauber in eine Klinik nach Dortmund gebracht wird. Nach Feststellung des Notarztes war vermutlich Alkohol die Ursache des Unfalls. Bei diesem Unfall hat er beide Beine und einen Unterarm verloren. Sechs Wochen nach der Einlieferung in Dortmund wurde er aus dem künstlichen Koma zurückgeholt. Mit der Hilfe von Notfallseelsorger Diakon Hans Bexhans war es ihm möglich das erlebte was ihm selbst nicht mehr bewusst ist, zu verarbeiten und die Probleme des „neuen“ Alltags zu meistern. Seit 2011 ist er Frührentner. Ein normales Leben, so seine Einschätzung gibt es für mich nicht mehr. Ich muss alles im Vorfeld planen. Er sieht sich aber mittlerweile auf dem Rückweg um wieder in Arbeit zu kommen. Der Notfallseelsorger Hans Bexhans fasst seine Aufgabe so zusammen: „Meistens komme ich zu spät. Es ist nicht immer einfach, vor den Türen der Eltern oder Freunde zu stehen.“

Der Moderator verabschiedet die Schülerinnen und Schüler mit der Bekanntgabe des Wunschzieles der Kreispolizeibehörde. In absehbarer Zeit die anfänglich gezeigte Karte des HSK mit vierzehn Totenkreuzen in eine weiße Karte umwandeln zu können. Dass man auf dem richtigen Weg mit dieser Art der Prävention ist, beweist die Statistik. Vor drei Jahren gab es dreihundert Verkehrsunfälle mit jungen Erwachsenen. Dies hat sich auf zweihundertzwei und im letzten Jahr auf unter zweihundert verändert. Eine weitere positive Nachricht bezieht sich auf den Veranstaltungsort und seine Teilnehmer. Laut Josef Jakobi ist die Aula des Petrinum der Ort, wo die Anwesenden sehr konzentriert und diszipliniert den Ausführungen folgen.  

Bildunterschrift: v. Li.: Josef Jakobi – Polizeioberrat und Projektleiter Crash Kurs und Dr. Christof Bartsch – Bürgermeister mit der Gruppe Crash Kurs von Polizei, Feuerwehr, Notarzt der Flugrettung, Notfallseelsorger und zwei Unfallbeteiligten mit einer Begleitung.

Bild + Text: Peter Kasper

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