„Sozialstaat unter Druck: Kosten uns die Flüchtlinge zu viel?“

„MAISCHBERGER“ am Mittwoch, 17. Februar 2016, um 22:45 Uhr

brilon-totallokal: (ots) Kann Bundeskanzlerin Angela Merkel beim kommenden EU-Gipfel ihre Amtskollegen von einer gerechteren Verteilung der Flüchtlinge überzeugen oder muss Deutschland weiter die Hauptlast tragen? Doch wo ist die Belastungsgrenze für unseren Sozialstaat? Die Bundesarbeitsministerin rechnet bereits damit, dass es wegen des Flüchtlingszuzugs deutlich mehr Hartz-IV-Empfänger geben wird. Wie viele Zuwanderer werden einen Arbeitsplatz finden? Werden Flüchtlinge und deutsche Arbeitslose gegeneinander ausgespielt? Droht jetzt ein neuer Verteilungskampf – nicht zwischen arm und reich, sondern zwischen arm und arm?

Die Gäste:

Wolfgang Grupp (Unternehmer) Roland Tichy (Publizist) Leni Breymaier (Ver.di-Landeschefin) Edeltraud Sack („Tafel“-Leiterin) Bernd Raffelhüschen (Wirtschaftswissenschaftler) Marcel Fratzscher (Wirtschaftswissenschaftler) Alireza Faghihzadeh (Flüchtling und Lehrling)

Wolfgang Grupp

„Jeder, der nähen kann, bekommt bei mir einen Arbeitsplatz – egal ob Deutscher oder Zuwanderer“, sagt der schwäbische Textilunternehmer. Im letzten September wollte er einen pakistanischen Flüchtling beschäftigen. „Drei Monate dauerte es, bis wir ihn schließlich anstellen konnten. Das kann doch nicht sein“, klagt Wolfgang Grupp über bürokratische Hemmnisse. Dabei hätte er am nächsten Tag anfangen können.

Roland Tichy

„Wir haben uns Armut ins Land geholt, unser Sozialstaat ist in Gefahr und erhebliche Verteilungskämpfe sind zu befürchten“, glaubt der ehemalige Chefredakteur der „Wirtschaftswoche“. Zudem sei die Qualifikation der Zuwanderer so schlecht, dass sie nur schwer in Arbeit kämen. „Kein Paketbote kann seinen Job machen, wenn er die Adresse nicht lesen kann. Wer nur arabische Schriftzeichen beherrscht, wird erst mal jahrelang arbeitslos sein“, sagt der Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung.

Leni Breymaier

„Wir sollten viel mehr vom volkswirtschaftlichen Nutzen der Flüchtlinge reden als von den Kosten“, sagt die Ver.di-Landesvorsitzende von Baden-Württemberg. Staatliche Ausgaben für Flüchtlinge würden wie ein Motor für die Wirtschaft wirken. Die stellvertretende SPD-Landesvorsitzende ist überzeugt: Die Flüchtlinge seien nicht wegen der Sozialleistungen nach Deutschland gekommen. „Die wollen arbeiten und nicht rumhocken.“

Edeltraud Sack

Der Flüchtlingsandrang stellt die ehrenamtlichen Initiativen der „Tafeln“ für Bedürftige bundesweit vor große Herausforderungen. Bereits jetzt gebe es immer wieder kulturelle Konflikte bei der Essensausgabe, beklagen die Helfer. „Wenn noch mehr Flüchtlinge zu uns kommen, dann haben wir nicht mehr genug für alle, und der Ärger ist vorprogrammiert“, sagt die Leiterin der „Tafel“ aus dem niedersächsischen Gifhorn.

Bernd Raffelhüschen

Die deutsche Flüchtlingspolitik sei „der größte Fehler der vergangenen Jahrzehnte“, wettert der renommierte Ökonom bereits seit Monaten. Auf bis zu eine Billion Euro veranschlagt er die Kosten des Flüchtlingszuzugs, die nur mit massiven Steuererhöhungen finanziert werden könnten. „70 Prozent der Flüchtlinge sind unqualifiziert. Es wird eher eine Integration in die sozialen Sicherungssysteme als in den Arbeitsmarkt geben“, erklärt der Sozialexperte.

Marcel Fratzscher

„Die Rechnung, Flüchtlinge sind ein Verlustgeschäft für Deutschland, ist grundfalsch und manipulativ. Dann sind auch zwei Drittel der Deutschen ein Verlustgeschäft“, sagt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Der Ökonom ist überzeugt, dass Deutschland von den Flüchtlingen profitieren wird: „Ein Flüchtling erwirtschaftet nach fünf Jahren mehr, als er den Staat kostet.“

Alireza Faghihzadeh

Er ist ein Vorzeige-Immigrant: Zweieinhalb Jahre nach seiner Flucht lebt der 22-jährige Iraner unabhängig von staatlicher Unterstützung in Berlin. Als er nach Deutschland kam, sprach er kaum Deutsch. Inzwischen beherrscht er die Sprache fließend und macht eine Ausbildung als Elektroniker für Automatisierungstechnik. Paradox: Über seinen Asylantrag ist bis heute nicht entschieden. Faghihzadeh lässt sich aber von seinem Ziel nicht abbringen: „Ich will Deutscher werden.“

Quelle: (ots) ARD Das Erste / „Maischberger“

„Maischberger“ ist eine Gemeinschaftsproduktion der ARD, hergestellt vom WDR in Zusammenarbeit mit der Vincent TV GmbH.

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