Norbert-Schellen: Die Vermessung der Welt

Brilon-Totallokal: Stichwort der Woche von Norbert Schnellen

brilon-totallokal:  Als die Menschen sesshaft wurden haben sie sich die Fläche, die sie mit Ackerbau und Viehzucht bewirtschafteten, als Eigentum angeeignet. Es war die Fläche, die um ihren Hof herum lag und ohne das Zurücklegen langer Wegstrecken erreichbar war. Als sich später Dörfer und kleine Städte bildeten und der Bedarf an Agrarfläche entsprechend größer wurde, verlängerten sich auch die Wege, da kaum einer mehr seine Flächen komplett um seinen Hof herum bewirtschaften konnte. Damals bildeten sich zwei Formen des Landbesitzes heraus: der private Landbesitz als Acker-, Weide oder Waldfläche, der sich im Eigentum einer Familie befand und die „Allmende“ (hierzulande auch „Marke“ genannt), das heißt eine Land- oder Waldfläche welche den Bewohnern eines Dorfes oder einer Stadt zur gemeinschaftlichen Nutzung zur Verfügung stand.

Mit dem Anwachsen der Bevölkerung wurde die Ressource Land jedoch im Laufe der Jahrhunderte immer knapper. So mussten die Menschen nach Möglichkeiten suchen den Besitz Ihrer Gemeinde festzulegen und sich gegenüber den Nachbarn zu abzugrenzen. Teilweise nutzte man hierzu markanter Landschaftselemente, zum Beispiel einen Bachlauf, einen Graben oder einen Waldrand. Wo das nicht möglich war schuf man künstliche Grenzmarkierungen, wie Axtmarkierungen an Bäumen, mit Steinen gefüllte Erdlöcher oder Grenzsteine. Zur Kontrolle des Grenzverlaufs wurden die Grenzen in regelmäßigen Abständen abgegangen, dieser Grenzbegang wurde landläufig als Schnade bezeichnet. Die Schnade war somit über viele Jahrhunderte hinweg die einzige Möglichkeit die Grenzen eines Gemeinwesens zu kontrollieren.

Im 19.Jahrhundert, nach der Übernahme Westfalens durch Preußen, änderte sich das. Man begann auch hier die Welt zu vermessen. Mit Hilfe von Flurkarten, Grundbüchern und Katasterämtern wurde der Grundbesitz metergenau festgehalten und dokumentiert. Heute, mit Luftaufnahmen, Satellitenfotos und GPS kann man die Grundstückgrenzen fast millimetergenau festlegen. Das Abschreiten der Grenzen ist somit eigentlich längst überflüssig. Ist die Schnade also nur noch eine „hohle“ Tradition? Nein, denn durch das bloße Betrachten von Karten oder Luftbildern kann man keine emotionale Bindung zu dem Flecken Erde schaffen, den man mit dem Begriff „Heimat“ verbindet.

Um diese Heimat zu lieben und das Selbstbewusstsein früherer Generationen auch an künftige Bewohner weiterzugeben, muss man sie erleben und erwandern. Man muss das Gemeinschaftserlebnis spüren, die Gespräche auf den Lagerplätzen führen und als echter Briloner, wenigstens einmal im Leben, die Stadt mit allen fünf Schnadezügen umrundet haben. Nur aus diesem Gefühl heraus kann es auch in Zukunft heißen: „Düt is alles use!“

Ihr Norbert Schnellen

 
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