70 Jahre „Westfalenleid“ – Stichwort der Woche von Norbert Schnellen

Brilon-Totallokal: Stichwort der Woche – 70 Jahre „Westfalenleid“ von Norbert Schnellen

brilon-totallokal: „Ihr mögt den Rhein, den stolzen preisen, der in dem Schoß der Reben liegt, wo in den Bergen liegt das Eisen, da hat die Mutter mich gewiegt.“ Mit diesen Zeilen beginnt das „Westfalenlied“, mit welchem Emil Rittershaus eine Hymne für die Bewohner unseres Landes dichten wollte. Das scheint etwas danebengegangen zu sein, denn heute kennt wahrscheinlich kaum noch ein Westfale die eigene Hymne. Eigentlich ist dieses ganze Machwerk nur ein Vergleich zwischen Rheinländern und Westfalen. Diese werden als geradliniger und ehrlicher Menschenschlag dargestellt, während die Rheinländer dann eher das Gegenteil sein sollen.

Rittershaus schrieb dieses Lied im Jahr 1868, also drei Jahre vor der Gründung des deutschen Kaiserreichs. Damals versuchten viele Regionen in Deutschland dem entstehenden deutschen Nationalismus einen gewissen Lokalpatriotismus entgegenzustellen. Dabei war Westfalen zu dieser Zeit alles andere als eine gewachsene Einheit mit einer eigenen Identität. Nach dem Wiener Kongress wurden 26 bisher mehr oder weniger eigenständige Herrschaftsgebiete dem Königreich Preußen einverleibt und bildeten ab da die Provinz Westfalen. Von diesen Gebieten bezeichnete sich zuvor nur das „Kurkölnische Herzogtum Westfalen“, also quasi das heutige Sauerland selbst als „Westfalen“.

Die im 19 Jahrhundert einsetzende Industrialisierung verstärkte die Gegensätze zwischen den einzelnen Regionen Westfalens. Während die westfälischen Städte im Ruhrgebiet immer stärker mit den rheinischen Städten zu einer Region zusammenwuchsen, wurden die ländlichen Regionen Westfalens von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehangen. Als nach dem zweiten Weltkrieg das Land Preußen per Dekret aufgelöst wurde, handelte die britische Besatzungsmacht daher nur folgerichtig, indem sie die preußische Provinz Westfalen mit den nördlichen Teilen der Rheinprovinz „zwangsverheiratete“ um die Montanregion an Rhein und Ruhr zusammenzuhalten. Folgerichtig jedoch nur im wirtschaftlichen Sinne, rein menschlich gesehen entstehen bei solchen Zwangspartnerschaften immer Konflikte. Allein die Tatsache, dass Westfalen hinter dem Bindestrich kommt, das die Landeshauptstadt und der Sitz des Parlaments sich auf der rheinischen Seite befinden, war für die Westfalen von Anfang an ein Zeichen einer gewissen Benachteiligung.

Der Verdacht, dass der vielzitierte „rheinische Klüngel“, mit „schöner Worte Überfluss“, wie es im Westfalenlied heißt, dem rheinischen Landesteil Vorteile gegenüber den „ehrlichen“ Westfalen gebracht hat, hält teilweise bis heute vor. Das Bild vom „weltgewandten Rheinländer“ und vom „sturen“ und etwas „rückständigen Westfalen“ hat dann auch in den letzten siebzig Jahren dazu beigetragen, dass nahezu jeder Bewohner des rheinischen Landesteils sich stolz als Rheinländer bezeichnet, während im Gegensatz dazu die Identifikation mit Westfalen immer weiter zurückgeht. Man ist Ruhrgebietler, Münsterländer oder eben Sauerländer, aber kaum noch Westfale. So steht zu fürchten, dass in der Zukunft der „Westfale“ genauso aus dem Sprachgebrauch verschwindet, wie in der Vergangenheit der „Ostfale“, der heute stolz das Niedersachsenlied singt. Schade!

Ihr Norbert Schnellen

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