Brilon-Totallokal: Austausch über Armut, Angst und Allgemeinwohl
brilon-totallokal: Verunsicherung, Rechtfertigung, Selbstzweifel, Spaltung: Vieles löst die Debatte um Armut in Deutschland aus, vor allem viel hoch Emotionales. Die Debatte ist nicht neu, dennoch mit Blick auf die „Tafel“ in Essen wieder allgegenwärtig. Armut ist Thema in Deutschland. Es bewegt die Betroffenen. Und auch jene, die helfen wollen. Und das oftmals unentgeltlich, also ehrenamtlich. Die ehrenamtlich Engagierten in den Warenkörben und Kleiderkammern im Altkreis Brilon hatte der Vorstand des Caritasverbandes Brilon jetzt aus genanntem Anlass zu einem Offenen Gesprächsabend eingeladen.
Rund 30 Engagierte der Caritas-Konferenzen nebst hauptamtlichen Caritas-Mitarbeitern aus den Bereichen Allgemeine Soziale Beratung, Migration und Integration sowie Caritas-Koordination und Vertreter des Caritasrates waren der Einladung zum Austausch gefolgt. Initiiert und moderiert wurde das Gespräch von Heinz-Georg Eirund, Vorstand Caritasverband Brilon. Als mögliche Ziele des Treffens bot Heinz-Georg Eirund an: „Dass wir miteinander diskutieren, um sich unserem gemeinsamen Engagement zu versichern und ebenso Sicherheit in unserem Wirken sowohl nach innen als auch nach außen zu erhalten. Vielleicht auch, um Korrekturen vorzunehmen. Auf jeden Fall aber, um Klarheit in unseren Positionen zu bekommen.“
Die Position der Caritas lautet konkret: Not sehen und helfen. Vorstand Eirund benannte in seinem einführenden Gesprächsimpuls noch einmal die Grundlagen caritativen Engagements, das sich zunächst aus dem Evangelium und darin aus den Werken der Barmherzigkeit ableitet. Dazu gehören unter anderem: Die Hungernden speisen. Die Nackten bekleiden. Die Fremden aufnehmen. Diese Grundsatzhaltung beim Helfen spiegelt sich sowohl in der Satzung als auch im Leitbild des Caritasverbandes Brilon wieder. Das Leitbild heißt: Dem Menschen dienen.
„Als Caritas verstehen wir uns als Anwalt der Schwachen und Hilfebedürftigen. Wir werben für solidarisches Handeln und setzen uns für Gerechtigkeit ein“, konkretisierte Eirund auch mit Blick auf Staat und Gesellschaft. Vor dem Helfen werde auch nicht nach der Schuld, die zur persönlichen Lage eines Menschen geführt hat, gefragt, ebenso wenig wie die Lebensleistung eines einzelnen Menschen eine Kategorie für mehr oder weniger Hilfe darstelle. „Keinesfalls unterscheiden wir bei Menschen, die um Hilfe bitten, welche Konfession sie haben, ob sie Landsleute sind oder aus einem anderen Land kommen“, betonte der Vorstand: „Entscheidend ist für uns die Hilfsbedürftigkeit.“ Gleichwohl gelte: Die Mittel werden gerecht an Berechtigte verteilt.
In der sich anschließenden Diskussionsrunde zeigte sich in den Schilderungen der Engagierten, dass die Diskussion um Armut und Hilfe sich nicht allein auf Materielles beschränken dürfe. Als „gesellschaftliches Problem“ wurde ebenfalls die Einsamkeit benannt, die in materieller Armut durchaus ihre Wurzeln haben kann. Schlagworte sind: Mobilität und Teilhabechancen. Kleiderkammern und Warenkörbe würden von den Kunden auch als Orte der Begegnung genutzt. So wurde auch darüber diskutiert, in den Hilfeangeboten Kaffee anzubieten, was sich aktuell aufgrund der Raum- und Personalsituation aber als schwierig darstelle.
Neben ihrem praktischen Engagement in den Kleiderkammern und Warenkörben sprachen die Teilnehmer auch offen über Aussagen und Haltungen, mit denen sie in ihrem Ehrenamt konfrontiert würden. „Undifferenzierte Vermischung“ und „generalisierende Stimmungsmache“ wurden genannt, wenn es um die Bewertung der Verteilung von Gütern und Hilfen ginge. „Für Flüchtlinge spenden wir nichts“, lautete etwa eine Aussage bei der Sammelaktion „Ein-Teil-Mehr“ für die Warenkörbe. Auch von Motiven wie Angst und Neid würde die aktuelle Armuts-Diskussion getragen, mitunter sogar angeheizt. Zugleich halten die Spenden an, wie beispielsweise in der Kleiderkammer Olsberg-Bigge. „Viele Menschen geben gerne. Sie sagen auch nicht: Die einen bekommen was, aber die anderen nicht“, unterstrich eine ehrenamtliche Mitarbeiterin.
Im Verlauf der Diskussion wurde auch die Politik ins Visier genommen, wobei die politischen Bemühungen um die Armutsbekämpfung in Deutschland die Ehrenamtlichen nicht nur irritierten, sondern auch echauffierten. Kein Praxisbezug, mangelnde Pietät, fehlende Augenhöhe und Menschlichkeit, so beschrieben einige Teilnehmer ihre Eindrücke nach den jüngsten medienwirksamen Aussagen mancher Mandatsträger.
Auch herrschte offenkundige Skepsis in der Runde, ob auf den politischen Parketten existenzielle Fragen wie Armut und Gerechtigkeit wirklich sachlich-thematisch und lösungsorientiert im Sinne des Allgemeinwohls bearbeitet werden. Es wurden Vorbehalte, sogar arges Unbehagen und Unmut über politisches Gebaren laut, dass einzelne Politiker wichtige Gesellschaftsthemen allein aus strategisch-egoistischem Kalkül regelrecht „okkupieren“ würden. Polit-Profilierung statt Problemlösung: definitiv die falsche Strategie, nach Meinung vieler Teilnehmer. „Wissen die Politiker überhaupt, was das Ehrenamt leistet“, wurde eine letzte, kritische Frage laut.
Der Gesprächsabend für das Ehrenamt in der Caritas-Werkstatt Hinterm Gallberg zeigte sich am Ende als Auftakt, das Thema Armut und dessen Facetten weiter und noch verstärkter in den Blick zu nehmen. „Die Diskussion werden wir fortsetzen“, sagte Vorstand Heinz-Georg Eirund, auch um andere Institutionen, beispielsweise Politik und Verwaltung, Kirche und Gemeinden, sowie Perspektiven – auch die von Armut Betroffenen – zu hören.
Info: Kleiderkammern und Warenkörbe
Im Altkreis Brilon sind rund 160 Ehrenamtliche in den Warenkörben in Brilon, Olsberg, Medebach und Winterberg sowie in den Kleiderkammern in Brilon, Olsberg-Bigge, Marsberg und in Winterberg aktiv.
Weiter Infos unter www.caritas-brilon.de
Foto: Caritas Brilon
Quelle: Sandra Wamers, Caritasverband Brilon e.V.