Gefahren einer Radikalisierung auch in Brilon?

Brilon-Totallokal: Diese Frage war das Kernthema einer Podiumsdiskussion, die am  11. Oktober 2018 in der Aula des  Gymnasiums Petrinum  in Brilon stattfand.

brilon-totallokal: Eine Gruppe von Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 10 und 11 hatten sich bei einem Forschungsworkshop im Museum Haus Hövener mithilfe verschiedenster Quellen aus dem Stadtarchiv  und dem Museum mit der Geschichte Brilons  in der Zeit von 1918 bis 1933 beschäftigt.

Brilon in Zeiten der Weimarer Republik!

In der Frühphase der Weimarer Republik war die Zentrumspartei, die den politischen Katholizismus repräsentierte, die vorherrschende politische Kraft  in Brilon. Als Gegenpart gründete sich 1918  ein Arbeiter- und Soldatenrat,  der seine  kommunistische Gesinnung  auch in Brilon verbreiten wollte. In der Spätphase der Weimarer Republik kam es aufgrund der Verschlechterung der allgemeinen Lebensbedingungen zu einem Erstarken der  völkisch-nationalen Parteien.  Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 bedeutete faktisch das Ende der Weimarer Republik.

Ist 100 Jahre später eine Entwicklung in Brilon möglich, die den Zerfall der Demokratie möglich macht? Diese Frage stellten sich die Schülerinnen und  Schüler des Forschungsworkshops und luden aus diesem Grunde die gewählten Vertreter der Fraktionen des  Briloner Rates ein.

Die zunehmende Politikverdrossenheit  und die statistisch belegte wachsende Anzahl von Bürgern, die der Demokratie kritisch gegenüber steht, führen zwangsläufig zu der Frage, ob die Demokratie in Gefahr ist. Mit dieser Leitfrage eröffnete Carsten Schlömer (wissenschaftlicher Mitarbeiter Museum Haus Hövener) die Diskussionsrunde. Den Fragen der Schülerinnen und  Schüler stellten sich Dr. Christoph Thüer (Fachschaftsvorsitzender Geschichte Gymnasium Petrinum) und die folgenden  Politiker: Eberhard Fisch (CDU), Wolfgang KLeineberg  (SPD), Reinhard Loos (BBL), Bürgermeister Dr. Christof Bartsch (SPD), Reinhard Prange (Die Linke) und  Klaus Willecke (FDP). Das Moderatorenteam Ann-Kathrin Stappert und Mike Bothur  richtete seine Fragen jeweils an bestimmte Politiker.

Aufschlussreiche Antworten auf intelligente Fragen!

Die Runde startete mit der Frage an Dr. Christoph Bartsch, ob es heutzutage möglich ist, dass nationalsozialistische Parteien zu führenden Kräften in Europa  werden können. „ In einer immer komplexer werdenden Welt, die extreme Umbrüche wie z.B. die Folgen des Klimawandels, der Globalisierung und der Digitalisierung aufweist, ist für viele Menschen die Suche nach einer „roten Linie“ immens  wichtig“, erläuterte  Brilons Bürgermeister. Man fühle sich in einem gewohnten Umfeld  sicherer und das fördere auch  das nationale Denken.  Hier gilt es, eine tragbare Kompromissfähigkeit zu finden  und soziale und wirtschaftliche Kompetenzen zu stärken. Einheitlich lasse sich diese Frage, so Dr. Bartsch, aber nicht beantworten.

Die zweite Frage lautete, ob in Brilon auch Tendenzen zur  Radikalisierung  sichtbar seien. Hier waren sich Klaus Willecke und Reinhard  Prange einig, dass sich einerseits  durchaus  Potential von rechtsradikalen Kräften in Brilon befindet, aber dass  andrerseits eine echte Gefahr von ihnen nicht auszugehen droht.  Dr. Christoph Thüer  stellte heraus, dass es seiner Ansicht nach heute nicht mehr „extreme“ Schülerinnen bzw. Schüler als früher gebe. Aber der  allzu schnelle Wandel der Zeit, das Gefühl, von den etablierten Parteien nicht verstanden zu werden – all das könnten  Gründe für eine Radikalisierung sein.

Welche Bedürfnisse müssen befriedigt werden, um ein Abdriften in den Radikalismus zu vermeiden? Diese Frage stand als nächste auf der Agenda. Den Briloner Bürgern müsse vermittelt werden, dass sich z. B. die Politiker im Stadtrat  für die Probleme der Menschen interessieren würden und dass eine ehrliche Politik auf lokaler Ebene die Folge sei, so Bürgermeister Dr. Bartsch. Auch  Eberhard Fisch, Reinhard Prange und Reinhard Loos betonten, wie wichtig es ist, dass sich die Bürger nicht  von den etablierten Parteien enttäuscht fühlen dürfen.  Die Politiker müssen sich mit den Problemen der Menschen  beschäftigen und Lösungen finden. Klaus Willecke stellte in diesem Zusammenhang  die Bereiche finanzielle Sicherheit, Gesundheit, Bildung und Umwelt in den Fokus.

Die vierte Frage hatte zum Inhalt, ob man die lange Regierungsbildung, die seinerzeit in der Weimarer Republik stattfand, mit der fast ebenso langen Regierungsbildung vergleichen kann, die von der Bundestagswahl im September 2017 bis zur endgültigen Zusammensetzung  des Kabinetts  im März 2018 dauerte. Eberhard  Fisch, Wolfgang Kleineberg  und Dr. Christoph Thüer sahen definitv keinen Zusammenhang, da  man die damaligen und heutigen Verhältnisse nicht mit einander vergleichen kann.

Die fünfte Frage beschäftigte sich mit der Erinnerungskultur in Bezug auf die NS-Zeit in Deutschland. Soll im schulischen Geschichtsunterricht  weiterhin der Fokus auf diese Zeitgelegt werden und  soll  auch die Politik diese Zeit immer wieder in das Gedächtnis der Menschen rufen?  Alle Politiker betonten, wie wichtig diese Erinnerungskultur ist. Wolfgang Kleineberg  würdigte die Stolperstein Aktion und die jährlich am 9. November stattfindenden Veranstaltungen in Gedenken an die Reichspogromnacht 1938.  Reinhard Loos und Klaus Willecke unterstrichen, wie wichtig der Besuch von Gedenkstätten und Konzentrationslagern ist. Auch das Gedenken an die Widerstandskämpfer gehört für Wolfgang Kleineberg  dazu.  „Nicht nur die Schulen, sondern auch außerschulische Lernorte wie z.B. Archive  sollen bei der  Aufarbeitung der NS- Zeit helfen“,  betonte Dr. Christoph Thüer.

Die letzte Frage war besonders brisant, betrifft sie doch das Gros der  Schülerschaft des Gymnasiums. Wie können die Politiker die Wünsche der noch nicht Wahlberechtigten erkennen? Hierzu meldete sich  jemand aus dem Publikum, der sich auf die Frage: Was kommt nach der Schule? fokussierte. Ein Thema, das die Schülerinnen und Schüler zusehends bewegen wird.  In diesem Zusammenhang wurde  die erfolgreiche Arbeit der  Briloner Wirtschaftsförderung genannt, z. B.  die Ausbildungsbörsen und der  Briloner Ausbildungskompass.  „Es läuft gut in Brilon“, fasste Eberhard  Fisch zusammen. Bürgermeister Dr. Christoph Bartsch stellte das sehr engagierte Jugendparlament in Brilon heraus, das als wichtiges überparteiliches Sprachrohr gilt. „Gute innovative Köpfe können viel bewirken“, unterstrich der Bürgermeister.  Vertreter  des Briloner Youth-Hansa-Teams verdeutlichten, dass auch bei ihren Aktivitäten Wünsche erkannt werden können. Die Möglichkeit, neue Ideen und Anregungen zu liefern oder mitzubestimmen, bietet  seit zwei Jahren  die Homepage „www.brialog.de“.  „Das ist unmittelbare Demokratie“,  fasste Bürgermeister Dr. Christoph Bartsch zusammen.

Offene Diskussion

In der anschließenden offenen Diskussion wurde die  politische Bildung  in Schulen thematisiert. „Wieweit darf die Schule politisch sein“? Diese Frage von Carsten Schlömer wurde von den politischen Vertretern dahingehend beantwortet, dass politische Bildung in den Schulen sehr  wichtig ist. Man darf keinem seine Meinung aufoktroyieren, jeder muss sich seine eigene Meinung bilden.

Und das ist letztlich auch ein wesentlicher Grundzug der Demokratie.

Quelle: Ursula Schilling

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