Die Europäer: Was haben sie gemeinsam – was nicht?
brilon-totallokal: „Wie seht ihr die Zukunft Europas? Wie offen seid Ihr für Europa?“, etwa 15.000 Europäer wurden gefragt. Noch sagt eine Mehrheit: „Früher war alles besser.“
Auf dem 52. Briloner Wirtschaftsforum sprach Zukunftswissenschaftler Prof. Dr. Ulrich Reinhardt auf Einladung der BWT am 10.9. im Atrium der Sparkasse Hochsauerland über „Wünsche und Werte der Europäer –wie die Europäer die Zukunft sehen“. Viele Zahlen präsentierte er anschaulich, und füllte sie unterhaltsam mit Informationen, Einstellungen und Aussagen aus den europäischen Völkern.
Als Fehler im politischen Denken der Menschen in Europa sah er die Konzentration auf die Vergangenheit, (die bekannt ist) und weniger auf die Zukunft, (die unbekannt ist), an. Das Unbekannte führe zu Ängsten. Neuland erobern, sich ihm öffnen, – da sei bei den meisten europaweit Vorsicht angesagt. Zumindest in der Generation 30+. Die Jüngeren zeigten weniger Berührungsängste, für sie sei Europa Lebensalltag. „Die wollten in die Zukunft starten, den Traum Europa leben.“ Weitgehend fühlten sie sich als Europäer und dächten nicht wie die Politiker total formal. „Sie sind die Vorreiter eines funktionierenden Europas.“ Aber es werde noch dauern bis zur übernächsten Generation, bis das der positive Blick in die Zukunft Europas den rückwärts gerichteten überlagern würde.
Ein gutes Viertel der Befragten war der Meinung, dass es in den europäischen Staaten mehr Gemeinsamkeiten gibt als Unterschiede.
Einig sind sich die Europäer vor allem in ihren Sorgen. Da steht mit zwei Dritteln als größte Zukunftssorge die Angst um die eigene Sicherheit, d.h. das Anwachsen von Kriminalität. Es folgen der Klimawandel und seine Folgen (auch für die Volkswirtschaften), die zunehmende Spaltung der Gesellschaften in Arm und Reich, der steigende Druck am Arbeitsplatz (immer mehr arbeiten in der gleichen Zeit) durch die IT-Technologien und die bange Frage: „Was bleibt übrig fürs Alter?“ (Mit dieser Angst stehen die Deutschen auf Platz 2 von 10.) Die Mehrheit sieht das Handy und seine ständige Präsens negativ, und 4 von 5 sind der Meinung, dass durch die mangelnde „normale“ Kommunikation Aggressivität gefördert werde sowie Vereinsamung und zunehmende Oberflächlichkeit.
Auch der demographische Wandel trifft fast ganz Europa. 2035 werde Deutschland die älteste Bevölkerung der Welt haben. In 10 Jahren werde es doppelt so viel über 60 Jährige als unter 20 Jährige geben. Das sei etwa in Frankreich und Finnland genau umgekehrt.
Als eines der wichtigsten Themen sah der Leiter der „BAT-Stiftung für Zukunftsfragen“ die Vereinbarkeit von Beruf und Familie an. Die Zukunft müsse weiblich sein, denn Frauen hätten immer die besten Noten. Ihnen müssten mehr Möglichkeiten gegeben werden, in Führungspositionen zu arbeiten. Da seien Politik und Wirtschaft gefragt, entsprechende Rahmenbedingungen in den Betrieben zu schaffen, z.B. mehr Jobs auch in Teilzeit n den Chefetagen. Da gibt es in Deutschland noch viel zu tun, denn es liegt auf dem vorletzten Platz.
Bei der Frage nach der Kinderfreundlichkeit erreichte Deutschland den letzten Wert. Die durchschnittliche Anzahl der Kinder liegt bei 141 pro 100 Frauen. Dabei sei die oft angegebene Sorge um die Zukunft der Kinder irrelevant, so Dr. Reinhardt. Die heute Geborenen hätten später ein freies Feld bei der Auswahl von Studien- und Arbeitsplätzen.
Sorge überwiegt in allen Ländern darüber, wie die Politik auf die Zukunft vorbereitet ist und die geht einher mit einem massiven Vertrauensverlust, Politikverdrossenheit und wenig Zutrauen in die Glaubwürdigkeit von Politikern.
Für zwei Drittel ist es ein großer Wunsch, wieder Vertrauen zu können, nicht nur im politischen, sondern auch im alltäglichen Lebensbereich. Dr. Reinhardt sprach von einer unmittelbar bevorstehenden Renaissance der Familie, denn die Familie läge in ganz Europa im Zentrum des Wertesystems. Familie oder Gemeinschaft mit starker Bindung, der Wunsch nach Zusammenhalt und Geborgenheit könnten auch zu einer Renaissance der Nachbarschaft führen.
„Noch nicht mal den halben Weg sind wir gegangen in Richtung Europa, aber wir sind auf dem rechten Weg“, war das Fazit Dr. Reinhardts.