SOS-Mitarbeiterin berichtet über die Lage syrischer Flüchtlingsfamilien im Libanon
SOS-Mitarbeiterin Katharina Ebel: Aktuell flüchten tausende Menschen vor Krieg und Elend nach Europa. Darunter sind auch immer mehr Kinder, die tausende von Kilometern alleine unterwegs sind. Die Kinder sind oft nicht älter als acht Jahre. Alleine in Deutschland rechnet man, dass bis Jahresende noch 30.000 weitere „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ eintreffen werden. An Brennpunkten der Flüchtlingsroute werden sie von den SOS-Kinderdörfern betreut. Sie bekommen Essen und Trinken, Kleidung und vor allem Schutz. SOS-Mitarbeiterin Katharina Ebel ist zurzeit im Libanon, um sich vor Ort ein Bild von der SOS-Hilfe zu machen. Im Interview spricht sie über Kinder, die ihre Heimat verlassen haben mit einem ungewissen Ziel.
Frau Ebel, Sie sind jetzt gerade im Libanon. Dort leben offiziell mittlerweile über eine Million Flüchtlinge, vermutlich sind es deutlich mehr. Und das bei einer Einwohnerzahl von vier Millionen Einwohnern. Wie erleben Sie die Situation dort?
Ich habe mit vielen Flüchtlingen gesprochen und man wird schnell betroffen von deren Situation. Die meisten Camps bestehen aus kleineren Containern. Ich war heute bei einer Flüchtlingsfamilie, die in einem kleinen Container wohnt und praktisch Nichts hat. Kein fließendes Wasser, kein Strom und keine Betten. Sie müssen auf dem Fußboden schlafen. Wenn es jetzt kalt wird im Winter, ist es besonders hart. Sie haben kleine Kinder, die im Winter ständig erkältet sind. Die Leute haben keine Zukunft. Die Kinder haben keine Chance in die Schule zu gehen. Solche Schicksale berühren mich sehr und da kommt man auch so schnell nicht darüber hinweg.
Woran leiden die Flüchtlingskinder besonders?
Die Kinder sind zum großen Teil alleine in den Libanon aus Syrien geflohen. Fast alle sind traumatisiert von den Kriegserlebnissen, aber auch von der Flucht. Viele haben gesehen, wie Freunde oder Verwandte getötet wurden oder wie ihr Zuhause von einer Bombe zerstört wurde. Die Traumata zeigen sich auch darin, dass einige Kinder aggressiv sind. Andere weinen sehr viel. Es ist auch schwer, einen Zugang zu den Kindern zu bekommen. Sie trauen kaum noch jemandem. Das bedeutet, die Kinder brauchen eine intensive Betreuung. Was wir in den SOS-Zentren machen, ist mit den Kindern die Traumata anzugehen. Das heißt, die Kinder werden von den Sozialarbeitern rund um die Uhr betreut. Sie sprechen viel mit Psychologen. Aber wir geben den Kindern auch wieder ein Stück Normalität zurück, indem sie wieder Kinder sein dürfen. Sie können z.B. wieder in die Schule gehen und mit Freunden spielen oder viel malen. Und wir versuchen den Kindern vor allem das Vertrauen in die Gesellschaft wiederzugeben.
Was haben die Kinder auf der Flucht erlebt?
Die Kinder erzählen erst einmal sehr wenig von der Flucht. Wenn, dann erst, wenn sie etwas Vertrauen zu einem gefasst haben. Ich habe mit einem 8-jährigen Jungen gesprochen, der auf der Flucht an der Grenze von seiner Mutter getrennt wurde. Er musste sich dann ganz alleine um seine kleineren Geschwister kümmern. Erst Tage später haben sie die Mutter wiedergefunden. Gerade aber, wenn Kinder gesehen haben, dass Menschen vor ihren Augen getötet wurden, sind das Erlebnisse, für die ein Kind sehr lange braucht, bis sie diese Ereignisse verarbeitet haben.
Wenn man das alles selbst sieht und erlebt – dann bekommt man vermutlich ein völlig anderes Verständnis dafür, dass die Menschen sehr viel riskieren für ein besseres Leben in Europa?
Das kann ich jetzt viel besser nachvollziehen. Ich habe mit vielen geredet, die sehr gerne wieder zurück nach Syrien wollen. Denn dort ist ihre Heimat, dort haben sie ihre Wurzeln und viele haben dort auch noch Häuser. Viele wollen also gar nicht nach Europa. Doch bei einigen zeigt sich auch, dass sie kaum noch Hoffnung haben, dass der Krieg in Syrien bald vorbei ist. Um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu bieten, nehmen sie dann den beschwerlichen Weg Richtung Europa auf sich. Viele handeln auch aus purer Verzweiflung, weil die Bedingungen für die Flüchtlinge hier im Libanon immer schlechter werden. Hoffnung auf ein besseres Leben ist das, was die Menschen nach Europa treibt.
Quelle: SOS – Kinderdörfer weltweit