Dirk Wiese zu Gast bei der Caritas Brilon

Brilon-Totallokal: Dirk Wiese zu Gast bei der Caritas Brilon – Thema der Diskussion war Das Bundesteilhabegesetz

brilon-totallokal: Brilon. Mehr Selbstbestimmung und bessere Teilhabe für Menschen mit Behinderung.

Das sind Kernziele des Bundesteilhabegesetzes (kurz BTHG), dessen 382-seitiger Entwurf aktuell diskutiert wird. Bis zum Jahresende soll das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen sein. Die Veränderungen würden bundesweit 200.000 Menschen mit Behinderung betreffen, die beim Leben und Wohnen begleitet und unterstützt werden. Ebenso die 300.000 Beschäftigten, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderung berufliche Rehabilitation sowie Teilhabe am Arbeitsleben erfahren. Den Lokalbezug zum Altkreis Brilon bekam die Diskussion um das geplante Gesetz jetzt mit dem Besuch von Bundestagsabgeordneten Dirk Wiese (SPD) beim Caritasverband Brilon.

Leben, Wohnen, Arbeiten: Auch in diesen Bereichen engagiert sich die Caritas Brilon mit Angeboten für Menschen mit Behinderung. An den sechs Standorten der St. Martin Werkstätten erfahren 680 Beschäftigte Teilhabe am Arbeitsleben. In den Caritas-Wohnhäusern leben 176 Menschen mit Behinderung. Durch das Ambulant Betreute Wohnen werden 80 Klienten im Alltag begleitet. Menschen, die von dem neuen Gesetz direkt berührt werden. Ebenso hätten die geplanten Neuerungen Auswirkung auf die Organisation der Angebote für Menschen mit Behinderung, sowohl was den Verwaltungs- und Dokumentationsaufwand, die Refinanzierung als auch die praktische Arbeit im Alltag betrifft. Über die möglichen Auswirkungen samt deren Vor- und Nachteilen sprachen Heinz-Georg Eirund (Vorstandsvorsitzender Caritasverband Brilon), Engelbert Kraft (Fachbereichsleiter Arbeit für Menschen mit Behinderung), Thomas Schneider (Fachbereichsleiter Behindertenhilfe) sowie Angehörigenvertreter Klemens Kienz mit Bundestagsabgeordneten Dirk Wiese (SPD). Aus dem umfangreichen Gesetzentwurf wurden folgende Themenkomplexe besonders diskutiert.

Splittung der Kostenträgerstruktur

Bis dato werden in stationären Einrichtungen Unterkunft, Verpflegung und Betreuung als Komplexleistung über die Eingliederungshilfe geführt. Diese Komplexleistung soll abgelöst werden. Künftig sollen Leistungen der Grundsicherung und zum Lebensunterhalt von der Kommune getragen werden. Die Leistungen zur Teilhabe verbleiben bei der Eingliederungshilfe. Anträge bei Pflegebedarf gehen an die Pflegeversicherung; die Bewilligung von Hilfen zur Pflege erfolgt durch die Sozialhilfe. Anstelle eines Kostenträgers stehen also vier. Die Befürchtung nach Splittung der Kostenstruktur sind: mehr Verwaltungsarbeit, längere Bearbeitungs- und damit Wartezeiten, unklare Zuständigkeiten. Statt einfacher würde das Hilfesystem komplizierter werden, vielleicht sogar teurer.

Die Splittung erschwere darüber hinaus den Unterhalt von Wohnhäusern. Als Sonderbau, mit besonders sicherheitsrelevanten und technischen Vorgaben, werden die Kosten derzeit von der Eingliederungshilfe getragen. In dem neuen Gesetz ist die Refinanzierung von Sonderkosten für Sicherheit & Technik noch nicht klar zuzuordnen.

Unabhängige Beratung

In dem BTHG-Entwurf ist eine unabhängige Beratung vorgesehen. Deren Aufgaben, bspw. Unterstützung bei Antragstellung, sei nicht klar genug formuliert, so die Kritik. Ebenfalls unklar sei, in welcher Trägerschaft die neuen Beratungsstellen liegen sollen.

Steigender Verwaltungsaufwand

Befürchtet wird ein überbordender Dokumentationsaufwand in der Behindertenhilfe, um die erbrachten Hilfeleistungen refinanziert zu bekommen – ähnlich wie in der Altenhilfe. Die Zeit für die Verwaltungsarbeit könne dann zu Lasten der direkten Betreuungszeit am Menschen gehen.

Teilhabe am Arbeitsleben

Ist ein Grundrecht. Gefordert wird, dass auch Menschen mit schwerstmehrfacher Behinderungen weiterhin Teilhabe am Arbeitsleben und den damit verbundenen sozialversicherungspflichtigen Status in Werkstätten erfahren.

Deckelung der Pflegekosten

Auch Menschen mit Behinderung werden dank medizinischen Fortschritts sowie durch Begleitung, Hilfe und Förderung immer älter. Die Altersstruktur in den Wohnhäusern ändert sich. Der Pflegebedarf steigt. Trotz der veränderten Situation liegt der monatliche Höchstbetrag aus der Pflegeversicherung bei 266 Euro, wenn ein pflegebedürftiger Mensch mit Behinderung in einer Einrichtung lebt. Gefordert wird daher die Abschaffung dieser Kostendeckelung, dafür die reale Anpassung an die gültigen Leistungen der Pflegeversicherung.

Tarifbindung der Träger

Bezahlen Institutionen, die Menschen mit Behinderungen Hilfe und Begleitung beim Leben, Wohnen, Arbeiten etc. anbieten, ihre Mitarbeitenden nach Tarif, soll das im neuen Gesetz anerkannt werden. Die Tarifbindung wird von der Caritas, die nach dem Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) des Deutschen Caritasverbandes entlohnt, begrüßt.

„Das geplante Bundesteilhabegesetz ist äußerst komplex“, betonte Angehörigenvertreter Klemens Kienz sowohl mit Blick auf die beiden beteiligten Ministerien Gesundheit und Soziales. „Ich hoffe sehr, dass dort noch einmal intensiver über die Schnittstellen gesprochen wird.“ Ebenfalls forderten die Diskussionsteilnehmer von Seiten der Caritas, die Gruppe, der von den Gesetzesänderungen Betroffenen, genauer in den Blick zu nehmen. Deren Ansprüche, Forderungen, Bedarfe und Wünsche seien so vielschichtig und unterschiedlich wie die Gruppe in sich. Die Anregungen und Einwände nach der Diskussionsrunde versprach Dirk Wiese mit nach Berlin zu nehmen, wo noch in diesem Jahr das Gesetz verabschiedet werden soll, so „der ambitionierte Zeitplan“.

Infokasten: Allgemeine Sorgen zum Gesetzentwurf Leben, Wohnen, Arbeiten, Freizeit: Menschen mit Behinderung haben einen gesetzlich fixierten Anspruch auf entsprechende Hilfen und Begleitung, die eine Teilhabe ermöglichen. Dieser Rechtsanspruch soll auch durch das neue Bundesteilhabegesetz gesichert bleiben. Ebenso soll der Zugang zu den Hilfeleistungen nicht erschwert, oder gar eingeschränkt werden. Dabei müssen sich die Hilfen nach dem tatsächlichen, individuellen Bedarf ausrichten. Dieses sogenannte individuelle Bedarfsdeckungsprinzip soll ebenfalls gesetzlich fixiert werden.

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